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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Rote Tücher |
Von Bernhard Plattner An der ETH gebe es drei rote Tücher, wurde mir kolportiert. Ein Professor habe das gesagt und beigefügt, dass ETH World eines davon sei. Nun müssen Leserinnen und Leser wissen, dass ich seit einem Jahr das Programm ETH World (www.ethworld.ethz.ch) leite und mich somit derartige Aussagen direkt betreffen. Warum sollte ETH World für Professorinnen und Professoren ein rotes Tuch sein? Zugegeben, ETH World war, seit der Lancierung in den letzten Monaten des alten Jahrtausends, zuerst eine pure Vision, nicht ganz fassbar und etwas abgehoben von der Realität. Dem Konzeptwettbewerb, der im Laufe des Jahres 2000 durchgeführt wurde, gelang es noch nicht, die Universität des 21. Jahrhunderts genauer zu zeichnen - er generierte viele spannende Ideen, die jedoch wenig durchführbare Rezepte enthielten.Doch was ist daran angreifbar? Würde ein Stier ein auf einer Wolke schwebendes rotes Tuch angreifen? Wohl kaum, das wäre zu weit weg. Könnte ETH World Futterneid wecken? Klar, ETH World kostet Geld, welches zu einem grossen Teil für Projekte ausgegeben wird, die in Richtung der ETH des 21. Jahrhunderts weisen. Dieses Geld könnte auch anders eingesetzt werden, z.B. für Forschung, für die Anstellung von Doktorierenden, was insbesondere in Zeiten der Mittelknappheit erwünscht wäre. Warum greift ein Stier ein rotes Tuch an? Weil es eine Bedrohung ist, weil es ihn herausfordert. Und weil die Muleta ihn beunruhigt und sogar ängstigt, so direkt vor seiner Nase!
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Könnte also ETH World als Herausforderung oder gar als unmittelbare, handfeste Bedrohung verstanden werden? Diese Vermutung hat etwas für sich. Der Ruf nach neuen Lernformen - zum Beispiel mittels E-learning - fordert heraus. Das Projekt Neptun verändert die Informatik-Infrastruktur und dadurch mittelfristig auch die damit verbundenen, vertrauten Abläufe. Die Studierenden erwarten folgerichtig, dass die neuen Mittel auch für das Lernen eingesetzt werden können. Wenn dies alles zutrifft, dann ist ETH World tatsächlich ein rotes Tuch. ETH World allein, das als Programm in etwas mehr als zwei Jahren zu Ende sein wird, kann ja die Universität des 21. Jahrhunderts nicht vollständig realisieren. Das Programm hat als Ziel, zu verändern und Neues zu denken. Schliesslich wird die Hauptaufgabe darin liegen, die angestossenen Veränderungen umzusetzen, d.h. in den „Grundauftrag“ an der ETH zu überführen. ETH World muss also ein rotes Tuch sein, wenn es erfolgreich sein soll. Die Programmleitung arbeitet jedoch daran, auch die anderen Facetten von ETH World sichtbar zu machen. Zum Beispiel werden mit ETH-World-Projekten nützliche, auf neue Technologien abgestützte Dienstleistungen entwickelt, die uns in unseren Kernaufgaben (Lehren, Lernen, Forschung, Management) unterstützen und somit der ganzen ETH Community zugute kommen. Zudem spart die ETH mit ETH World Geld. Durch die Koordination von Projekten und Prozessen macht das Programm Synergien nutzbar, vermeidet Doppelspurigkeiten und stellt den effizienten Einsatz von Ressourcen sicher. Ein Zipfel des roten Tuches soll aber immer sichtbar sein. Sonst bewegen wir zu wenig. PS: Es gibt noch zwei weitere rote Tücher. Sie dürfen raten. |
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