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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Generation "Debt" |
Dora Fitzli Während den letzten zwei Jahrzehnten haben sich in den USA die Ausbildungskosten verdoppelt, und dies teuerungsbereinigt. (1) In absoluten Beträgen kostete 1984/85 ein Jahr des Bachelorstudiums (Studiengebühren, Unterkunft und Verpflegung) an einer öffentlichen Universität im Durchschnitt 3'900 Dollar; 2004/05 waren dies 12'600 Dollar. Eine analoge Kostenentwicklung war an den privaten Universitäten zu beobachten: Ein Studienjahr kostete 1984/85 durchschnittlich 10'200 Dollar; zwei Jahrzehnte später lag dieser Betrag schon bei 34'700 Dollar. (2) So erstaunt es wenig, dass eine wachsende Mehrheit der amerikanischen Studierenden ihr vierjähriges Bachelorstudium mit Schulden abschliesst. Vom Jahrgang 2003 hatten sich 62% der Abgänger von öffentlichen Institutionen verschuldet (Median : 15'500 Dollar). Von privaten Institutionen waren dies 73% der Abgänger mit 19'400 Dollar Schulden (Median (3)) . Bei der Verschuldung für das Bachelorstudium handelt es sich um ein relativ neues Phänomen. Denn bis vor wenigen Jahren gelang es noch mit zahlreichen staatlichen und institutionellen Stipendienprogrammen, die Bachelorausbildung für die grosse Mehrheit schuldenfrei zugänglich zu machen. Neu ist vor allem auch, dass es sich bei diesen Ausbildungsschulden durchaus schon um einen namhaften Betrag handeln kann. 2004 hatte bereits ein Zehntel der Abgänger Schulden von mehr als 40'000 Dollar. Noch vor einem Jahrzehnt waren dies lediglich 1.3% gewesen. (4) Problematisch ist die zunehmende Bachelorverschuldung vor allem deshalb, weil die grosse Verschuldung normalerweise erst mit der Masterstufe, respektive mit den spezifischen Berufsausbildungen ("first professional") erfolgt. Unter die Kategorie „First Professional“ fallen in erster Linie das Medizin- und Rechtsstudium (Medical Schools and Law Schools). Auch auf dieser Stufe hat sich die Verschuldung während dem letzten Jahrzehnt in absoluten Beträgen mehr als verdoppelt oder ist teuerungsbereinigt um mehr als 50% angestiegen. In absoluten Beträgen lag die Verschuldung 1993 für ein Masterabschluss bei durchschnittlich 11’100 Dollar; 2004 waren dies 28'600 Dollar. Für "First Professional"-Abschlüsse betrug die Verschuldung 1993 durchschnittlich noch 30'000 Dollar, 2004 waren dies bereits 63'300 Dollar. Die Berufsgruppe mit den wahrscheinlich höchsten Ausbildungsschulden sind die Ärzte. Eine im Herbst 2005 veröffentlichte Umfrage der Association of American Medical Colleges zeigt ein düsteres Bild auf. (5) Lediglich 15% schlossen das Medizinstudium ohne Schulden ab, der Rest hatte durchschnittlich 120'000 Dollar Schulden. In diesem Betrag sind die Schulden aus der Undergraduate-Ausbildung (Bachelorstudium) miteingeschlossen. Wiederum haben sich die absoluten Beträge während den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. (6) Trotz dieser zum Teil enormen Ausbildungsverschuldung ist bis jetzt der grosse Aufruhr ausgeblieben. Noch immer überwiegt die Einstellung, dass eine Universitätsausbildung eine lohnende persönliche Investition sei. Dennoch regt sich langsam Unmut über den ständigen Kostenanstieg im Allgemeinen und insbesondere an Elite Colleges. „How Much Is Too Much?“ oder “Is It Worth It?” titelte die Presse. Die wachsende Verschuldung ruft Besorgnis hervor und ist zum öffentlichen Thema geworden: „Generation Debt“, „Forgive Us Our Student Debt“ und „In Debt before you start“. (7) Manche befürchten, dass künftig ein Universitätsstudium nur noch Reichen offensteht. Es liegen Schätzungen vor, dass schon heute jährlich 200'000 qualifizierte High School-Abgänger aus finanziellen Überlegungen auf ein Studium verzichten müssen. Eine andere Konsequenz ist, dass die Hochschulabgänger/innen zwansläufig auf gut bezahlte Jobs fokussieren müssen. Wer hochverschuldet ist, kann es sich nicht leisten, als Lehrerin und Sozialarbeiter zu arbeiten. Auch Ärzte können kaum noch als Allgemeinpraktiker oder als klinische Forscherin tätig sein, da sie in diesen Positionen deutlich weniger verdienen als ihre hochspezialisierten Kollegen/innen. Dies hat dazu geführt, dass in diesen Berufen ein Mangel an qualifizierten Personen herrscht.
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Um den gröbsten Missständen Abhilfe zu leisten, wollen die US-Regierung und mehrere Bundesstaaten verschuldete Studienabgänger mit dem Erlass ihrer Ausbildungsschulden ("loan forgiveness programs") motivieren, diese unterbesetzten Positionen anzunehmen. Dies betrifft auch Freiwilligen-Arbeit, Militärdienst oder Krankenpflege. (8) Ein besonders kostenintensives Programm wurde 2002 von den National Institutes of Health (NIH) gestartet. Für Ärzte/innen, die klinische Forschung betreiben, werden durch die NIH jährlich bis zu 35'000 Dollar ihrer Aufbildungsschulden beglichen. (9) Minnesota hat ein ähnliches Programm für Apotheker/innen und Krankenpfleger/innen in ländlichen Gemeinden. Die Stadt New York subventioniert die Mieten von Lehrern/innen bis zu 14'600 Dollar jährlich. Diese Entwicklung zeigt, dass der mehr und mehr marktwirtschaftliche Ansatz in der universitären Bildung seine Grenzen erreicht hat. Zu offensichtlich ist die Notwendigkeit, mit staatlichen Anreizprogrammen korrigierend einzugreifen und "social engineering" zu betreiben. Bezeichnenderweise hat dies nun in den USA auch die Diskussion wiederbelebt, inwiefern Bildung nicht nur ein "personal investment", sondern eben doch noch ein öffentliches Gut sein soll.
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Fussnoten:
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