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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Fremde – eine Frage der Definition? |
Von Michelle Flückiger Obwohl ich den Kopf bereits vollgestopft habe mit Prüfungs-Wissen und die Neuigkeiten aus der Zeitung kaum mehr aufzunehmen vermag, so ist mir doch eines nicht entgangen: Blocher und seine verzwickte Lage als Bundesrat. Da musste der Arme das neue Asylgesetz loben und preisen, ohne zu sehr durchblicken zu lassen, wie ihm die ganze Sache gegen den Strich ging. Besonders gut versteckte er die persönliche Haltung wohl nicht, denn ansonsten hätte ich es in meinem Lerntaumel nicht mitgekriegt. Fraglich nur, was denn unser Herr Bundesrat solch fürchterliche Angst vor den Asylanten, ja eigentlich vor allen „Fremden“ hat? Wo beginnt überhaupt die Fremde? Ist das nicht einfach eine weitere der unzählig willkürlich gewählten Definitionen unserer Gesellschaft? Ich will Ihnen drei persönliche Erfahrungen der vergangenen zehn Wochen dazu schildern: Kurz nach Semesterschluss liess ich Skripte und Notizen liegen, packte den Rucksack und fuhr mit meiner Freundin nach Interlaken. Die Berge des Berner Oberlands wollten wir erwandern, frische Alpenluft einatmen und vielleicht auch etwas nach dem verloren geglaubten Patriotismus suchen, obwohl das eigentlich nicht mein Ding ist. Den 1. August könnte man meinetwegen auf den Mond schiessen, am besten gleich mitsamt seinen Raketen und Knallern. Eine Landesfeier, die einen bald glauben lässt, der Krieg sei ausgebrochen, darauf kann ich verzichten. Wenigstens brauchen wir im Nachhinein „nur“ den See durch den grossen Kaffeefilter zu lassen, um ihn wieder von all den Knallkörperüberbleibseln zu säubern und müssen nicht wie die Franzosen ihre Champs-Elysées gleich die ganze Bahnhofstrasse neu pflastern. Aber dies nur am Rande.
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Es war wohl nicht gerade die beste Idee, Interlaken zu wählen, denn als Schweizer inmitten der Schweiz kamen wir uns vor wie unerwünschtes Beigemüse. Kinos und Einkaufsläden waren Japanisch, Chinesisch und Koreanisch angeschrieben und in der Küche der Jugendherberge stellten mindestens drei Pfannen, gefüllt mit Glasnudeln, Teewasser und Klebreis den Herd voll. Dass die vierte wie auch letzte Platte frei war, half unseren vom langen Wandern knurrenden Mägen auch nicht weiter. Denn die Pfannen waren alle in Gebrauch oder nicht gespült. Verständigungsprobleme versuchten wir mit freundlichem Lächeln zu überbrücken, doch ausser bei den Thais kam das generell schlecht an. Je länger desto mehr fühlten wir uns ausgeschlossen: unsere Betten - eine Schweizer Enklave inmitten des asiatischen Schlafraumes. Wir wollten nur noch eines: heim zu Unseresgleichen. Die Freude war von kurzer Dauer, denn als ich früh um acht meinen Fuss in die Bibliothek setzte, um einen Arbeitsplatz zu suchen, was sah ich? Erstens, die Bibliothek war zum Bersten gefüllt, zweitens, da sassen nicht nur ETH-Studenten, nein, Juristen, Wirtschaftsstudenten und überhaupt lauter solche Fremdlinge hatten sich erfrecht, in „unsere“ Bibliothek einzudringen. Die neue Konkurrenz verwünschend, streifte ich zwischen den Bücherregalen umher, überliess dann aber schliesslich das Feld dem „Feind“. Mittags ein vergleichbares Bild: Die Physikmensa drohte aus allen Nähten zu platzen. Denn neben den „Fremdlingstudis“ fanden auch noch spazierenden Mamis mit Nachwuchs, rotbesockte Wandervögel und „spärelige“ Omis, dass man hier ganz gut essen könne und es sich wunderbar bei einem Kaffee verweilen lasse. „Was haben denn die hier verloren“, fuhr es mir heraus und sogleich musste ich an Blocher denken. Bemühte sich der Politiker so sehr, die Meinung seiner Bundesratskollegen zu vertreten und konnte es doch nicht verklemmen seine wahre Haltung herauszuposaunen. Und ich? Keinen Deut besser bin ich. Schimpfe mich zwar fremdenfreundlich, offen und alles was dazu gehört und nun stehe ich da und fluche über die eigenen, nur weil sie in mein vermeintliches Territorium eindringen. Fremde beginnt am Ende der eigenen Nasenspitze - und nirgendwo sonst. |
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