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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Auftakt |
René Schwarzenbach Am Kap Matapan, ganz unten im südlichsten Teil des Peloponnes, am „Ende der Welt“, wo sich - schenkt man der Mythologie Glauben - in einer Höhle einer der Eingänge zum Hades befindet, ist mir plötzlich die ETH wieder ins Bewusstsein geraten. Einfach so, ganz ohne Vorwarnung. Und, dass ich Kolumnenschreiber geworden bin. Stoff dazu bietet die ETH und der ETH-Bereich gegenwärtig ja zur Genüge, obschon sich vieles eher für eine Glosse eignen würde, was meiner Kabarettistenseele auch mehr entgegenkäme. Wie dem auch sei, hier in der Inneren Mani scheint mir der richtige Ort, einen ersten Versuch zu wagen. Um etwas von Beginn an klarzustellen: Es liegt mir viel an der ETH, weil sie uns allen immer noch in einer auf der ganzen Welt wohl einmaligen Art und Weise Freiheit und Unabhängigkeit in Forschung und Lehre bietet. Ich freue mich auch jeden Tag neu auf den Kontakt mit den Studierenden und Doktorierenden, und auf die Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ohne die ich meinen immer unmöglicher werdenden Job als Departementsvorsteher gar nicht bewältigen könnte. Und ich schätze meine verehrten Kolleginnen und Kollegen Professoren, die mir, freiwillig oder unfreiwillig, unermüdlich Stoff für meine gelegentlichen Kabarettauftritte liefern. Was gibt es denn Wichtigeres und Erhabeneres auf dieser Welt als einen ETH-Professor? Aber Spass beiseite. Wenn man, wie vom ETH-Rat und der ETH-Schulleitung bei jeder Gelegenheit verkündet, permanent auf dem hohen Seil tanzt, kann das mit der Zeit schon gewisse Höhenängste auslösen, sogar bei Leuten mit angeborener Schwindelfreiheit. Wir alle wissen es, der Preis für die Plätze ganz oben (oder ganz vorne) ist hoch, und die Währung ist heute immer noch klar und einfach definiert: Publikationen in Science oder Nature, und ein galoppierender Zitationsausweis, der bald nur noch durch rekursives Zitieren der eigenen Arbeiten gehalten werden kann. Natürlich hat der ETH-Ratspräsident Alexander Zehnder recht, wenn er in seiner ETH-Life Kolumne vom 5. Juli 2006 anmahnt, dass Publizieren zu einem der wichtigsten Kerngeschäfte einer Hochschule gehört. (1) Und die verdiente Belohnung bleibt ja an der ETH auch nicht aus: Hohes Ranking und zahlreiche Preise und Ehrungen - vor allem für die Professorinnen und Professoren. Das ist grundsätzlich auch ganz in Ordnung und gereicht unserer Schule auch zur Ehre. Nur, manchmal dünkt es mich, dass vor lauter Jagd nach Medaillen und äusserlichem Ansehen andere wichtige Aspekte, die eine führende europäische Bildungsstätte wie die ETH ausmachen sollten, etwas zu kurz kommen. Darauf möchte ich in einer meiner nächsten Kolumnen näher eingehen. Und dann ist da auch noch das pausenlose Bemühen des ETH-Rats, die „Exzellenz“ des ETH-Bereichs weiter zu steigern, und diesen gleichzeitig besser in die Gesellschaft zu integrieren. Auch das ist lobenswert. Die Frage sei aber erlaubt, ob der gegenwärtig stattfindende Top-Down Aktivismus diesem Bestreben wirklich immer förderlich ist. Man kann von oben beliebig viele Programme starten, Kompetenzzentren errichten, neue Strukturen bilden, oder ausgeklügelte Verfahren zur Re-Allokation der Grundfinanzierung austüfteln, wenn das alles aber primär nur die Auswirkung hat, die Basis davon abzuhalten, ihrem Kerngeschäft nachzugehen, wird wohl kaum Neues geschaffen. Der berühmte „Added Value“ kann dann schnell zum „Subtracted Value“ werden, aber darüber auch nächstens mehr. Kein Zweifel, eine Spitzenhochschule wie die ETH muss ständig in Bewegung sein, um sich den zukünftigen Herausforderungen in Lehre und Forschung stellen zu können. Dazu gehören unter anderem auch strukturelle Anpassungen, aber vor allem eine vermehrte und engere Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen der Natur-, Ingenieur- und der Sozial- und Geisteswissenschaften. Ebenso ein verstärkter Dialog mit der Gesellschaft. Diese Bekenntnisse wiederholen wir ja alle regelmässig schon seit Jahrzehnten, nur scheinen mir die Ansätze zur Umsetzung immer noch sehr dürftig zu sein.
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Ein Grund dafür liegt wohl auch darin, dass wir bis heute nicht den Mut aufgebracht haben, Leistungen, die nicht in ISI-Zitationseinheiten gemessen werden können, auf der Wert- und Wertschätzungsskala weiter nach oben zu schieben. Hier müssen Anreize geschaffen werden, welche vor allem Bottom-up Prozesse ermutigen und welche garantieren, dass die, verglichen mit anderen Hochschulen, wohltuende Unternehmenskultur der ETH erhalten bleibt. Das heisst aber beileibe nicht, dass die ETH so werden soll wie sie ist, wie sich das Leonhard Kleiser in seiner Kolumne vom letzten Mittwoch wünscht. Wie sie nicht werden soll, da sind wir uns aber wahrscheinlich in vielen Punkten einig. Auch zu diesem Thema möchte ich nicht schweigen. Und schliesslich, wie heisst noch der alte Spruch? „Gut Ding will Weile haben“. Das gilt übrigens auch fürs Kolumneschreiben. Aber eben, wer hat denn heute noch für irgendetwas die nötige Zeit und vor allem die nötige Musse? Ausser natürlich, man befindet sich gerade in der Inneren Mani, ganz im Süden des Peloponnes, am Ende der Welt, wo sich der Hades auftut ..........
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Literaturhinweise:
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