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Rubrik: News
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Publiziert: 06.06.2002 06:00

Symposium zum „Schreiben am Netz“
Hilfe oder Hürde?

(nst) "So wenig als möglich sitzen", empfahl Friedrich Nietzsche allen, die schreiben. Um zu guten Gedanken und also zu einem guten Text zu kommen, müssten die Muskeln "ein Fest feiern". - So gesehen, scheint die Schreibkultur im Zeitalter von Computer und Netz noch nicht viel weiter als vor einem Jahrhundert zu sein. Immerhin sei das Schreiben heute einem beispiellosen Veränderungsprozess unterworfen, befand der Basler Literaturprofessor Martin Stingelin zum Auftakt des Symposiums "Schreiben am Netz. Literatur im digitalen Zeitalter" am Collegium Helveticum. Die bis Freitag dauernde Veranstaltung bildet den Abschluss zur mehrmonatigen Diskussionsrunde zum gleichen Thema (ETH Life berichtete.)

"Sudeln" und "Gfätterlen"

In die Umsetzung von Ideen in Schrift spiele ein beträchtliches Mass an "Körperlichkeit" hinein, meinte Stingelin. Das heisst: je nach Qualität fördert oder bremst das Schreib-Instrumentarium die Arbeit. Stingelin illustrierte dies mit aussagekräftigen Aperçus aus der Kulturgeschichte und beleuchtete dabei die ganz individuellen, teilweise tragisch anmutenden Arbeitsprozesse der Autoren. Bekannt sind Nietzsches Mühen mit dem Schreiben: er war extrem kurzsichtig und versuchte mehr schlecht als recht, seiner Behinderung mittels Diktat Paroli zu bieten.


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Später experimentierte er mit einer "Schreibkugel", dem Vorläufer der modernen Schreibmaschine. Seine Texte lasse er drucken, "damit meine Gedanken für mich lesbar werden", sagte er einmal.

Lichtenberg und Robert Walser fühlten sich hingegen erst im "Sudeln", respektive beim "Gfätterlen" (Walsers „Bleistiftgebiete“) richtig frei, und Friedrich Dürrenmatt, seit einem Herzinfarkt mit Schreibmaschinen-Verbot belegt, machte aus der Not der Handschriftlichkeit eine Tugend des virtuosen Über- und Umarbeitens.

"Medium der Verspätung“

Nietzsches Urteil: "Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken" gelte heute wie damals, zumal angesichts des epochalen Paradigmenwechsels vom Papier zur Schreibfolie "Netz", hielt Martin Stingelin fest. Der Diskurs im literarischen SALON (www.collegium.ethz.ch/schreiben-am-netz) des Collegiums habe gezeigt, dass im Netz der Schreibprozess selbst häufig einer geistesgegenwärtigen Reflexion unterworfen werde. So wurde im Chat wiederholt der unumgängliche Verzug bei den Reaktionen auf einen Einwurf beklagt (... welch’ Ironie der Mediengeschichte). Der Autor Matthias Politycki brachte dies auf den Punkt: "Das Netz ist das Medium der Verspätung"; - es bleibt jedenfalls noch ein Buch mit sieben Siegeln, was das Verständnis darüber betrifft, wie das Netz das Schreiben affiziert. Einer ersten Klärung soll das gegenwärtig laufende Symposium dienen.


Literaturhinweise:
Das in Zusammenarbeit mit dem Literturhaus Zürich organisierte Symposium "Schreiben am Netz. Literatur im digitalen Zeitalter" läuft noch bis morgen Freitag, 7. Juni im Collegium Helveticum in der Semper-Sternwarte. Ergänzt wird das Symposium mit drei Lesungen im Zürcher Literaturhaus. Details siehe unter: www.collegium.ethz.ch

Fussnoten:
(1) Vgl. das ETH-Life-Interview mit dem Literarischen Collegiumsgast Walter Grond: "Eine besondere Ermächtigung"; sowie den ETH-Life-Tagesbericht:"Das Netz und das Schreiben"



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