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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 30.10.2003 06:00

Inventar gefährlicher Gletscher in der Schweiz
Eisige Gefahr

Im Rahmen des europäischen Projekts "Glaciorisk" hat die VAW alle Gletscher in der Schweiz erfasst, die eine potentielle Gefahr für den menschlichen Siedlungsraum darstellen. Die Erhebung zeigt, dass rund 50 Gletscher in den nächsten Jahrzehnten Schäden verursachen könnten. Im Kanton Wallis will man dieser Gefährdung nun mit einem angepassten Risikomanagement begegnen.

Von Felix Würsten

Gletscher, das haben verschiedene Ereignisse im letzten Sommer deutlich gemacht, sind eine potentielle Gefahr für den menschlichen Siedlungsraum. Die Eiseinstürze im Oberen Grindelwald-Gletscher, in deren Folge mehrmals eine Flut von angestautem Schmelzwasser das Lütschental hinunter floss, oder der drohende Eisabbruch beim Triftgletscher, der einen Schmelzwassersee zum Überschwappen bringen könnte, haben im Berner Oberland für einige Aufregung gesorgt. Die beiden Beispiele sind beileibe keine Einzelfälle. Eine Erhebung der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) (1) der ETH Zürich zeigt, dass es in der Schweiz insgesamt 82 Gletscher gibt, die in der Vergangenheit Schäden verursacht haben oder bei denen eine potentielle Gefährdung erkannt wurde.

Inventar auf dem Internet

Das "Inventar gefährlicher Gletscher in der Schweiz" wurde im letzten August publiziert und ist seit kurzem auch auf dem Internet für jedermann zugänglich. (2) Die Zusammenstellung wurde im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts "Glaciorisk" (Survey and Prevention of Extreme Glaciological Hazards in European Mountainous Regions) erstellt. "Das Ziel der Arbeiten war, Grundlagen für die Raumplanung und das Risikomanagement zu erarbeiten", erklärt Martin Funk, Professor für Glaziologie an der VAW. Um das Inventar zu erstellen, haben die Forscher zum einen historische Daten und Berichte über Gletscherunglücke zusammengestellt. Diese zeigen, dass seit 1595 bei 21 Katastrophen mindestens 440 Menschen ihr Leben verloren. Zum anderen haben die Wissenschaftler auch direkt vor Ort abgeklärt, bei welchen Gletschern heute eine Gefährdung besteht.

Überwachung mit Lücken

Von einem Gletscher gehen drei mögliche Gefahren aus, wie Funk erklärt. Erstens können kritische Längen- oder Volumenänderungen Gebäude und Installationen am Gletscherrand bedrohen. Zweitens kann vom Gletscher gestautes Wasser plötzlich ausbrechen und das tiefer liegende Tal überschwemmen. Und drittens können Eisabbrüche Siedlungen und Verkehrswege verschütten. Besonders heimtückisch ist es, wenn diese Ereignisse durch weitere Naturgefahren wie Murgänge, Felsabbrüche oder Schneelawinen verstärkt werden.

Am Triftgletscher drohen in den nächsten Jahren grössere Eislawinen in den Schmelzwassersee zu stürzen. Dies könnte gefährliche Flutwellen auslösen. (Bild F. Funk-Salamě) gross


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Am 5. September 1996 brach am Wetterhorn bei Grindelwald ein Stück des Gutzgletschers ab. Die gewaltige Eislawine drang bis zur Strasse Grindelwald - Grosse Scheidegg vor und verletzte drei Personen. (Bild U. Schiebner) gross

Die Bilanz der VAW zeigt nun, dass bei 51 der 82 erfassten Gletschern in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit einem Ereignis zu rechnen ist, das Schäden an Siedlungen, Verkehrsverbindungen oder anderen Installationen verursachen könnte. "Diese Gletscher", so Funk, "müssten eigentlich kontinuierlich beobachtet werden, damit ein gefährliche Situation rechtzeitig erkannt werden kann. Doch eine solche Überwachung findet heute erst bei 12 Gletschern statt. Bei allen anderen fehlt bisher ein Beobachtungskonzept."

Integrales Risikomanagement

Von den 51 potentiell gefährlichen Gletschern befinden sich 30 im Kanton Wallis. Dort will man der eisigen Gefahr zukünftig mehr Aufmerksamkeit schenken. Im Rahmen von Glaciorisk hat der Kanton Wallis die Ingenieurfirma Ernst Basler und Partner (EBP) beauftragt, ein Verfahren für das Management von glaziologischen Risiken zu erarbeiten. (3) Wie Matthias Wegmann erklärt, der als Mitarbeiter von EBP und der VAW an diesen Arbeiten massgeblich beteiligt war, verfolgte man dabei einen neuartigen Ansatz. Dieser orientiert sich an der Philosophie der "Nationalen Plattform Naturgefahren" (Planat). (4) "Die Idee ist, ein integrales Risikomanagement zu etablieren", meint Wegmann. "Das Ziel ist nicht mehr, Naturgefahren um jeden Preis abzuwehren, sondern mit solchen Risiken differenziert umzugehen." Die im Wallis erarbeitete Methode, darin sind sich Funk und Wegmann einig, lässt sich im Prinzip auch bei anderen Naturgefahren und in anderen Regionen anwenden.

Ausgehend vom Inventar gefährlicher Gletscher haben die Glaziologen bei jedem einzelnen Problemfall untersucht, wie gross das Gefahrenpotential ist und mit welchen Massnahmen dieses Risiko minimiert werden kann. Dabei wurden jeweils neun verschiedene Szenarien untersucht, die sich bezüglich Schadenverlauf und Häufigkeit unterscheiden. Für jedes Szenario wurden die möglichen Sach- und Personenschäden abgeschätzt. In einem zweiten Schritt haben die Ingenieure die Kostenwirksamkeit der einzelnen Massnahmen berechnet. Sie haben dazu die möglichen Sach- und Personenschäden monetarisiert und in Relation zu den Kosten der Massnahmen gesetzt. Auf Grund dieser Berechnungen konnten sie dann aufzeigen, welche Massnahmen prioritär ergriffen werden sollten.

Partizipatives Verfahren

"Die Risikoabschätzung haben wir in einem partizipativen Prozess erarbeitet", berichtet Wegmann. "Dazu haben wir mit Fachleuten vor Ort Workshops veranstaltet und ihre Einschätzungen in unsere Überlegungen mit einbezogen. Wir haben also nicht im Büro eine theoretische Risikoanalyse durchgeführt und den Betroffenen dann gesagt, wie ihre Welt aussieht, sondern eine Lagebeurteilung erarbeitet, die von den lokalen Entscheidungsträgern akzeptiert wird."

Die Evaluation der verschiedenen Massnahmen hat gezeigt, dass glaziologische Risiken ohne grossen Aufwand stark reduziert werden können. Beobachten, alarmieren und im Ernstfall der Gefahr ausweichen sind einfache, kostengünstige und gleichzeitig wirksame Mittel. Der Bau von Ableitstollen für gestautes Gletscherwasser oder Galerien zum Schutz der Verkehrswege schneidet hingegen meistens schlecht ab, stehen doch die Kosten für solche Bauten in keinem vernünftigen Verhältnis zur effektiven Risikoreduktion.

Regelmässige Neubeurteilung

Angesichts der gegenwärtigen Klimaänderung und dem schnellen Rückzug der Gletscher muss das vorliegende Inventar regelmässig überarbeitet werden. "Im Moment verändern sich Gletscher extrem schnell", meint Funk. "Einige Gletscher sind vielleicht in einigen Jahrzehnten nicht mehr gefährlich. Dafür müssen bei der nächsten Erhebung möglicherweise andere Gletscher neu in die Liste aufgenommen werden."


Literaturhinweise:
SF DRS berichtet am Donnerstag 30. Oktober über das Inventar gefährlicher Gletscher in der Schweiz:: www.sfdrs.ch/system/frames/highlights/mtw/index.html

Fussnoten:
(1) Homepage der VAW: www.vaw.ethz.ch/
(2) Website mit dem Inventar der gefährlichen Gletscher: www.vaw.ethz.ch/vi/vaw_gz.vi_web/inventar/index.html
(3) Informationen von EBP zum Projekt: www.ebp.ch/geschaeftsbereiche/sicherheit/projekte/glaciorisk.html
(4) Homepage der Planat: www.planat.ch/



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