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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 27.10.2004 06:00

ETH-Professor Martin Loessner bekämpft gefährliche Bakterien in Lebensmitteln
Der Feind des Feindes

Das Forschungsinteresse, gefährliche Bakterien in Lebensmitteln zu bekämpfen ist gross. Zumal es sich manchmal um tödliche Krankheitserreger handelt. ETH Wissenschaftler haben eine Methode zur Bekämpfung dieser Bakterien entwickelt. Sie bedienen sich einer Technologie, die schon in den fünfziger Jahren eigentlich als veraltet galt.

von Claudia Naegeli

In unseren Nahrungsmitteln tummeln sich unzählige Bakterien. Einige erfüllen einen durchaus positiven Zweck für die Herstellung von fermentierten Lebensmitteln, und dienen hier beispielsweise als eine Art Konservierungsmittel. Sie sorgen auch dafür, dass sich Schimmelpilze in Lebensmitteln nicht ausbreiten. Andererseits sind Käse, Salate oder Würste auch ein beliebter Ort für Mikroben der gefährlichen Art. Enterokokken, Staphylokokken oder Salmonellen lösen Krankheiten aus. Besonders bekannt ist hierzulande der Fall „Vacherin Mont d’or“. Vor gut 20 Jahren erkrankten in der Schweiz 122 Menschen an Listeriose, wovon viele sogar an den Folgen der Erkrankung starben. Ausgelöst wurde die Krankheit von Listerien – schädlichen Mikroben, die sich im Rohmilchkäse eingenistet hatten.

Listerien sind aber auch heute noch ein aktuelles Thema. Allein in der Schweiz gab es im Verlauf der letzten zwölf Monaten 46 Listeriose Fälle. Die Bakterien werden ausschliesslich über verunreinigte Lebensmittel übertragen, wobei es sich hier meist um Waren handelt, welche zum rohen Verzehr geeignet sind, wie beispielsweise Milchprodukte, Wurst, gekochte Fleischwaren, Salate oder auch Cremes. Auch Fertiggerichte gehören für immer mehr Leute zum alltäglichen Speiseplan. Entsprechend der grossen Nachfrage nach „Convenience Food“ ist auch das Interesse von Forschung und Wirtschaft, ein verlässliches Mittel im Kampf gegen die unerwünschten Mikro-Gäste in Lebensmitteln zu finden.

Millionen Viren

„Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, sagte sich Professor Martin Loessner vom ETH-Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (1) und setzte bei der Bekämpfung von Bakterien in Lebensmitteln auf deren natürlicher Feind: Bakteriophagen. Phagen sind Viren, die millionenfach in Fluss- und Seewasser vorkommen. „In einem Milliliter Wasser – beispielsweise aus der Limmat – kommen mindestens 10'000 Bakteriophagen vor“, erklärt der Lebensmittel-Mikrobiologe. Diese so genannten „Bakterienfresser“ haben zwei entscheidende Vorteile: Die ausgewählten Bakteriophagen können erstens tierischen Zellen nichts anhaben und bekämpfen zweitens die gefährlichen Mikroben ganz gezielt. Letzteres ist ein entscheidender Vorteil gegenüber den Antibiotika, die auch alle nützlichen Bakterien angreifen.

Phagen können mit ihren Fortsätzen nur bei Bakterien „andocken“, die auf ihrer Oberfläche die passenden Rezeptoren aufweisen. Sie schleusen ihre DNA in den Wirt und zwingen ihn zur Bildung von rund hundert neuen Bakteriophagen. Die Phagen produzieren ein Enzym, das die Zellwand zersetzt. Die Folge: Der Wirt stirbt. Professor Loessner isolierte deshalb ein entsprechendes Enzym aus Listeria-spezifischen Phagen, das die Bakteriophagen produzieren und bringt es in gereinigter Form auf die Nahrungsmitteln auf, beispielsweise auf die Oberfläche eines Weichkäses (2).

Die Methode, Bakterien mit ihren natürlichen Feinden zu bekämpfen, ist eigentlich alles andere als neu. Schon vor über 80 Jahren versuchte man, bakterielle Infektionen mit Bakteriophagen zu behandeln. Schliesslich wurde diese Therapie aber von den Antibiotika verdrängt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kam 1959 zum Schluss, dass dank der erfolgreichen Entwicklung der Antibiotika keinen Grund mehr für Forschungsbestrebungen mit Bakteriophagen bestehe.

Neue Lösung, alte Methode

Einzig in den osteuropäischen Ländern – beispielsweise der ehemaligen Sowjetunion – wurde die Bakteriophagen-Forschung weitergeführt. Einer der Hauptgründe für die Beibehaltung der Phagen Forschung sei Geldmangel gewesen, erklärt Martin Loessner. „Die nötigen finanziellen Mittel fehlten, um die Forschung umstellen zu können.“ Ein Umstand, der heute fast schon als Vorteil betrachtet werden kann. Denn Bakterien bilden zunehmend Resistenzen gegen die Antibiotika. Die Wissenschaft sucht nach neuen Lösungen und greift für einmal auf eine alte Methode zurück. Dabei spielt für die Forscher der Austausch von Fachwissen eine bedeutende Rolle.


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Setzt man die gentechnisch optimierten "Anti-Listeria Laktokokken" für die Herstellung von Camembert Käse ein, kann einer Verunreinigung mit den gefährlichen Krankheitserregern vorgebeugt werden. Bild: Martin Loessner. gross

„In den letzten dreissig bis vierzig Jahren ist in diesen Ländern in Bezug auf die Bakteriophagen-Forschung ein grosses Know-how erhalten geblieben, das heute viele westliche und vor allem amerikanische Firmen interessiert“, erklärt Martin Loesser. Damit die Wissenschaftler nicht „über den Tisch gezogen“ werden, arbeiten heute viele mit Stiftungen zusammen und verarbeiten ihr Wissen selbst. Ein Austausch mit „westlichen“ Wissenschaftlern bestehe, doch die Art von Wissenschaft, die in den letzten Jahrzehnten im Osten betrieben worden sei, werde heutigen Massstäben nicht mehr gerecht, erklärt der Lebensmittel-Mikrobiologe. „Insbesondere, weil regelmässige Kontrollen gefehlt haben.“ Er selbst pflege keine direkten wissenschaftlichen Kontakte mit Wissenschaftlern aus der ehemaligen Sowjetunion.

Wettlauf um Waffen

Obwohl Martin Loessner bei der Bekämpfung von Listerien auf Phagen setzt, sieht er in ihnen nicht einfach ein Wundermittel schlecht hin. Dass Bakterien auch gegen Phagen Resistenzen entwickeln, scheine durchaus plausibel. „Auf der Welt existieren Bakteriophagen in einer Menge von geschätzten 10^30 Partikeln. Angesichts dieser grossen Anzahl würde es keine Bakterien mehr geben, wenn sie nicht gewisse Resistenzen entwickeln würden“, erklärt Martin Loessner weiter. Seine Arbeit sei vergleichbar mit einem „arms race“, einem Wettlauf um die besten Waffen. Zudem sei eine Phagen-Therapie nicht für eine lange Dauer oder als Prophylaxe geeignet, da für eine erfolgreiche Behandlung eine grosse Anzahl dieser Viren gebraucht werde.

Deshalb ergeben sich auch bei der Methode von Martin Loessner einige Probleme. Konkret brachte er die genetische Information für die Enzyme, die Bakteriophagen nutzen, um Bakterien zu töten, auch in Milchsäurebakterien ein. Die Enzyme werden dann isoliert und können auf Nahrungsmittel aufgebracht werden. Für die Lebensmittelindustrie wäre das eine Ideallösung. Doch die Enzyme seien nur begrenzt haltbar und die Herstellung kostspielig, erklärt Martin Loessner. Diesen Problemen könnte umgangen werden, indem man statt des isolierten Enzyms die gentechnisch veränderten Milchsäurebakterien selbst einsetzte, beispielsweise für die Käseproduktion.

Vorbehalte sind goss

Doch die Vorbehalte der Nahrungsmittelindustrie gegenüber Gentechnologie sind gross. „Momentan haben unsere Arbeiten noch einen rein experimentellen Status“, erklärt Martin Loessner. Über mögliche negative Auswirkungen der genetisch optimierten Bakterien auf den Menschen, wie etwa Allergien, lasse sich momentan noch nichts sagen. „Solche Untersuchungen sind komplex und sehr teuer. Es müsste das Interesse und die finanzielle Unerstützung einer kommerziellen Institution vorhanden sein“, so der Mikrobiologe. Dies sei momentan noch nicht der Fall. Trotzdem sehe die Zukunft gut aus. „Wir haben viele verschiedene Tools – sprich Bakteriophagen – zur Verfügung und werde in diesem Bereich weiter forschen“, sagt der Wissenschaftler. Mit den neu entdeckten alten Forschungsmitteln wie Bakteriophagen, gegebenenfalls kombiniert mit modernster Gentechnologie möchte er nicht nur Listerien, sondern auch anderen gefährlichen Mikroben das Handwerk legen. So konnten auch schon Phagen-Enzyme gegen Clostridien, Staphylokokken und Bacillen isoliert werden. Auch an Massnahmen zur Bekämpfung von Salmonellen, bekanntermassen bedeutende „Feinde“ in der Lebensmittelmikrobiologie, wird mit Hilfe der Phagen intensiv gearbeitet.


Fussnoten:
(1) Die Webseite des Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften: www.ilw.agrl.ethz.ch
(2) Bericht von Life Science Zürich "Kampf den Listerien": www.lifescience-zurich.ch/focus6/listerien-de.asp



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