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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 28.01.2005 06:00

Holocaust-Gedenktag im Archiv für Zeitgeschichte
Intensive Begegnungen

Anlässlich des diesjährigen Holocaust-Gedenktags organisierte das Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich eine eindrückliche Veranstaltung. Mittelschülerinnen und Mittelschüler begegneten Überlebenden der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland. Für die jüngere Generation war es ein bewegendes und intensives Erlebnis.

Von Felix Würsten

Vor sechzig Jahren erreichten die Truppen der Roten Armee das deutsche Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. 1,5 Millionen Menschen wurden dort von den Nationalsozialisten umgebracht. Die russischen Soldaten konnten nur noch einige Tausend Häftlinge befreien, welche die Deutschen auf ihrem Rückzug zurückgelassen hatten. Der Begriff "Auschwitz" steht seitdem als Synonym für die ungeheuerlichen Verbrechen des NS-Regimes. In zahlreichen Veranstaltungen wurde diese Woche dem heute noch Unfassbaren gedacht. So auch an der ETH Zürich, wo am Donnerstag vier Schulklassen aus dem Kanton Zürich Überlebenden des Holocaust begegneten.

Interessierte Jugend

"Mit diesen Begegnungen möchten wir einen Beitrag gegen das Vergessen leisten", erklären Claudia Hoerschelmann und Daniel Gerson vom Archiv für Zeitgeschichte. (1) Den beiden war bei der Planung durchaus bewusst, dass sie mit der Veranstaltung ein Wagnis eingingen. Vielen Holocaust-Opfern fällt es auch Jahrzehnte später schwer, über die schrecklichen Ereignisse zu sprechen. Selbst engste Angehörige wissen oft nur ansatzweise, was sich damals genau abgespielt hat. Ungewiss war auch, wie die Schulklassen reagieren würden und ob sie überhaupt Interesse am Schicksal der Opfer haben. Hoerschelmann und Gerson luden deshalb vorwiegend Opfer ein, die bereits in der Öffentlichkeit aufgetreten waren, sowie Schüler, die sich speziell für Geschichte interessieren.

Die Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Die Schüler verfolgten die Berichte aufmerksam und wagten es auch, Fragen zu stellen. Den meisten dürfte die direkte Begegnung mit einem Opfer des Holocaust als eindrückliche und auch emotional intensive Erfahrung in Erinnerung bleiben. Auch für die Überlebenden war es ein gutes Erlebnis, mit interessierten jungen Menschen über ihre Vergangenheit zu sprechen. Besonders intensiv war in dieser Hinsicht die Begegnung mit Edith Goldberger, die zum ersten Mal vor Publikum über ihre Zeit in Auschwitz berichtete.

Überleben als "Arier"

Wie prägend die Erlebnisse für die Opfer gewesen sein müssen, zeigte sich allein schon am Namen des ersten Zeitzeugen. Jerzy Czarnecki hiess ursprünglich Izaak Steger und lebte vor dem Krieg als Jude in Ostpolen. Als die deutsche Wehrmacht im Juni 1941 Russland überfiel und in das besetzte Ostpolen einmarschierte, war sein Leben akut gefährdet. Während Stegers Eltern deportiert und ermordet wurden, gelang es ihm selber, nach Warschau zu kommen und dort unter dem Namen Jerzy Czarnecki eine polnische Identität anzunehmen. Als "Arier" beobachtete er vom sicheren Teil der Stadt aus, wie die Nazis den Aufstand im Warschauer Ghetto niederschlugen. Czarnecki behielt nach dem Krieg seinen "falschen" Namen; er habe, so erklärte er den Schülern, die Kraft nicht gehabt, seinen jüdischen Namen wieder anzunehmen.

Schülerinnen studieren in der Pause Dokumente aus dem Archiv für Zeitgeschichte. gross


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Jerzy Czarnecki erzählt Mittelschülerinnen und Mittelschülern aus Wetzikon seine Lebensgeschichte. gross

So tragisch die Erlebnisse der Opfer auch waren, so konnten die Schüler während den Begegnungen doch mitunter auch zusammen mit den Opfern lachen. Cioma Schönhaus etwa las aus seinem Buch vor, wie er als Jude in Berlin mit viel List Unterschlupf fand. Als Graphiker fälschte er Dokumente (welche hilfsbereite Deutsche in einer Kirche anstelle von Geld in den Opferstock warfen) und rettete so anderen Verfolgten das Leben. Die Beschreibung, wie er sich in der Reichshauptstadt durchschlug und ihm zuweilen auch bürokratische Details das Leben retteten, mutete für die Zuhörer zuweilen grotesk-komisch an.

Verzweiflung und Angst

Kleinste Zufälligkeiten entschieden damals über Leben und Tod. Schönhaus musste ständig auf der Hut sein, sich nicht durch unbedachte Kleinigkeiten zu verraten. Auf welch brüchigem Eis er sich damals bewegte, zeigte sich eindrücklich, als seine Erzählung plötzlich kippte und hinter der scheinbar leichtfertigen Beschreibung seiner Lebenssituation die Verzweiflung und Angst hervorbrach, die sein Leben prägte. Schönhaus lebte in einer surrealen Welt. Um sich zu tarnen, speiste er etwa in noblen Restaurants; gleichzeitig war ihm stets bewusst, was mit den Deportierten geschah und was ihm blühen könnte, sollte seine wahre Identität aufgedeckt werden.

Das Archiv für Zeitgeschichte hat die vier Gespräche auf Video aufgezeichnet, um sie als Dokumente für die Nachwelt zu erhalten. Begegnungen, wie sie am Donnerstag stattfanden, werden in wenigen Jahren kaum mehr möglich sein; die jüngsten Holocaust-Opfer, die sich noch an den Zweiten Weltkrieg erinnern können, sind heute über siebzig Jahre alt. Es sind gerade die bewegenden Berichte dieser Menschen, welche die Nachwelt erahnen lassen, welches immenses Leid sich hinter den abstrakten Opferzahlen verbirgt.


Verpflichtung zum Gedenken

Seit Dezember 2004 ist die Schweiz Mitglied der "Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research" (ITF). (2) Die Task Force wurde 1998 auf Initiative des schwedischen Premierministers Persson ins Leben gerufen. Der Gruppe gehören 20 Mitgliedstaaten an (Argentinien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Israel, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Tschechische Republik, Ungarn und USA). Diese haben sich verpflichtet, Erziehung, Gedenken und Forschung über den Holocaust zu fördern, einen Tag des Gedenkens an den Holocaust zu organisieren sowie den Zugang zu spezifischen Archiven über den Holocaust zu erleichtern.




Fussnoten:
(1) Homepage des Instituts für Zeitgeschichte: www.afz.ethz.ch/
(2) Informationen über die ITF: http://taskforce.ushmm.org/



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