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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 04.02.2002 06:00

"ETH E-Collection" sammelt "Graue Literatur" von ETH-Angehörigen
Gesucht: "Graue Literatur"

Mit der "E-Collection" startet die ETH-Bibliothek heute eine alternative Publikationsform ausserhalb des Verlagswesens. Erstmals werden an der ETH zentral Vorlesungsskripte, Dokumentationen und Tagungsberichte einheitlich erfasst und übers Internet abrufbar. Die Leser freut's: Immer öfter benutzen vor allem Naturwissenschaftler das elektronische Angebot.

Von Jakob Lindenmeyer

"Warum gibt's das nicht schon lange?", fragten sich viele, als sie von dem Projekt hörten. So auch der Autor. Die Idee ist bestechend: Neben den Fachzeitschriften und dem traditionellen Verlagswesen existiert an einer Hochschule ein weites Feld von Dokumenten, die sich in keinem Bibliothekskatalog finden. Im Fachjargon: "Graue Literatur" (siehe Kasten).


'Graue Literatur'

Unter dem Begriff "Graue Literatur" versteht man alle nicht verlagsgebundenen Veröffentlichungen. Dazu zählen Lehr- und Übungsmaterialien, wissenschaftliche Schriftenreihen, Tagungs- und Konferenzberichte, Preprints, Dokumentationen aller Art oder Vorlesungsskripte. Bis anhin fristete die graue Literatur ein Mauerblümchendasein. Aus zwei Gründen wird sie künftig aber eine wichtigere Position einnehmen: Einerseits wächst im Forschungsbereich die Unzufriedenheit gegenüber dem kommerziellen Zeitschriftensystem (siehe dazu (1) ). Andererseits steigt mit den Online-Unis der Bedarf nach digitalen Lerninhalten.



Unerwünschte Diplomarbeiten?

"Graue Literatur" wurde bisher vereinzelt in verschiedensten Formaten dezentral meist auf privaten Homepages angeboten, verschwand jedoch oft mit dem Weggang des Erstellers. Doch jetzt wird alles anders: Dank dem ETH World-Pilotprojekt "ETH E-Collection" können ab heute an zentraler Stelle unter e-collection.ethbib.ethz.ch kostenlos alle Formen von "Grauer Literatur" bequem übers Web eingegeben und abgerufen werden. Bevorzugt wird dabei das PDF-Format. Eingegebene Dokumente werden nach internationalen Standards erfasst, überprüft und bleiben langfristig über verschiedene Bibliothekskataloge und unter einer statischen Internet-Adresse abrufbar. Überprüft? "Wenn ein Student seine Diplomarbeit eingibt, fragen wir vor der Publikation den betreuenden Professor, denn möglicherweise ist bei diesem eine solche Publikation unerwünscht", erklärt Projektleiterin Alice Keller.

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Die Website des neuen Dienstes "ETH E-Collection" gross

Die Projektbeteiligten (siehe Bild oben rechts) können bereits auf eine erfolgreiche Vorstudie zurückblicken: Die Online-Dissertationen (Siehe Projektbericht unter (2). Seit letztem Wintersemester können von 1'600 mit Abstracts vorhandenen ETH-Doktorarbeiten ganze 880 im Volltext recherchiert und abgerufen werden. Genutzt werden sie bereits 6'000 Mal pro Monat. Jahr für Jahr kommen rund 500 neue Doktorarbeiten hinzu. Ein gesunder Grundstock für die heute gestartete "ETH E-Collection".

Klein aber fein

Doch die Konkurrenten schlafen nicht. Der grösste kommerzielle wissenschaftliche Online-Zeitschriftendienst, "Science Direct", bietet bereits heute über 1,7 Millionen Volltextartikel an. Und das amerikanische ETH-Vorbild MIT (Massachusetts Institute of Technology) verspricht, in den kommenden zehn Jahren sämtliche Lerninhalte kostenlos ins Internet zu stellen. Man rechnet mit rund 10'000 Dokumenten pro Jahr. Dafür macht die US-Elite-Uni gemeinsame Sache mit einem grossen IT-Konzern und investiert 100 Millionen Dollar. Dagegen nimmt sich das ETH-Projekt mit einmaligen Projektkosten von 180'000 Franken und einer Betreuung durch 150 Stellenprozente eher bescheiden aus.


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E-Collection
Sie entwickeln die ETH E-Collection (v.l.n.r): Ursula Jutzi, Simone Amacker, Felix Stamm, Stephanie Boschung, Alex Weber, Silvia Brandigi und Alice Keller. (Foto: B. Dietschi) gross

Wegen Desinteresse versandet

Doch was halten die ETH-Angehörigen vom neuen Service? "Alle finden es eine wichtige Sache. Trotzdem hat niemand was abzugeben", kommentiert Alice Keller erste Rückmeldungen der angefragten Professorenschaft. Hier steckt die grosse Gefahr für das Projekt: "In Deutschland sind ähnliche Projekte versandet, weil sich nach einer kurzen Starteuphorie niemand mehr dafür interessierte", berichtet Ursula Jutzi, die sich bei der E-Collection um die Schnittstellen kümmert. Dadurch blieb die Auswahl an abrufbaren Dokumenten unattraktiv klein.

Dokumente per Telefonmarketing

Doch die ETH-Bibliothek will's besser machen: "Wir wollen aggressiv vorgehen!", verrät Projektleiterin Alice Keller. Im letztem November wurden alle Professoren schriftlich über das Projekt informiert und um ihren Beitrag an "grauer Literatur" angefragt. Dieses Jahr startete die zweite Phase der Dokumentensammlungsaktion: Projektmitarbeiterin Silvia Brandigi ruft in alphabetischer Reihenfolge jeden ETH-Professor persönlich in seinem Büro an, um ihn zum Mitmachen zu animieren. Beim Besuch des Autors dieses Artikels bearbeitet sie gerade die Professoren mit "S" wie Schuler. Warum nicht diskret per E-Mail Kontakt aufnehmen? "Das hätte nie geklappt!", entgegnet Silvia Brandigi. "Am Telefon kann man die Professoren in ein Gespräch verwickeln und sie so viel besser vom Sinn der ganzen Sache überzeugen."

Angst vor Copyright-Klagen

Es scheint zu klappen. Momentan hat Brandigi bereits 200 Dokumente auf sicher. Institute wie das Zentrum für internationale Studien der ETH waren sogar so begeistert von dem Angebot, dass sie gleich ganze Schriftenreihen zur Verfügung stellten. Andere hingegen fürchten sich vor möglichen Copyright-Klagen, da sie in ihren Skripts oft grosszügig ganze Passagen aus geschützten Lehrbüchern übernommen haben. "Die Schweizer sind halt tendenziell übervorsichtig", kommentiert Telefonsammlerin Brandigi trocken.

Doch es gibt auch das Gegenteil: Professoren, die sich vor Plagiaten ihrer mühsam erstellten Unterlagen fürchten. Ab Sommer will das Projektteam hier Abhilfe geschaffen: Dann können Dokumente auch nur im IP-geschützten ETH-Intranet angeboten werden, analog den elektronischen Zeitschriften.

Lesefaule Ingenieure?

Doch werden gesammelte elektronischen Dokumente überhaupt genutzt? "Klar!", antwortet Projektleiterin Alice Keller überzeugt und präsentiert stolz die Zugriffs-Statistiken der elektronischen Zeitschriften. Während die Hard-copy-Ausleihen der gesamten Bibliothek bei jährlich 480'000 stagnieren bzw. leicht rückläufig sind, explodieren die Zugriffe auf die elektronischen Dokumente. Allein das Wissenschaftsmagazin "Science" wurde im letzten Jahr 24'400 Mal über die ETH-Bibliothek angewählt.

Doch woher kommen die vielen virtuellen Leser? "Primär sind es Naturwissenschaftler", verrät Alice Keller. Die Ingenieure gelten eher als seltene Benutzer. Das bestätigen auch internationale Studien. "Dafür lesen sie die wenigen Dokumente, die sie abrufen, umso gründlicher", ergänzt Keller. Führend im Lesen von elektronischen Zeitschriften sind an der ETH jedoch primär die Chemiker, gefolgt von den Molekularbiologen und den Physikern. Bei der heute eingeführten "ETH E-Collection" erwartet die Projektleiterin eine ähnliche Rangordnung. Wenn die fachspezifischen Zugriffszahlen nun zusätzlich nach Lizenzkosten aufgeschlüsselt werden, lassen sich spannende Schlussfolgerungen ziehen. Doch dazu mehr später - hier in ETH Life.


Unpubliziertes ist willkommen

Die ETH-Bibliothek ist weiterhin auf der Suche nach "grauer" ETH-Literatur wie Vorlesungsskripten, Dissertationen, Berichten und Dokumentationen. Eingabeberechtigt sind alle Angehörigen der ETH. Das bevorzugte Format ist PDF. Eingegeben werden die Dokumente am besten per E-Mail an e-collection@library.ethz.ch oder über die Website der "ETH E-Collection" (3).




Fussnoten:
(1) ETH Life-Bericht über den "Freien Zugang zu den Publikationen" unter: www.ethlife.ethz.ch/tages/show/PublicLibraryofScie.html
(2) Projektbericht "Online-Dissertationen" unter: www.ethbib.ethz.ch/projekt/dissenonline.html
(3) Website der "ETH E-Collection" unter: e-collection.ethbib.ethz.ch



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