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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 06.05.2003 06:00

Wie behindertengerecht ist die ETH?
Die kleinen Probleme

Am 18. Mai 2003 kommt die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte" zur Abstimmung (siehe Kasten). Haben Behinderte an der ETH schon heute die gleichen Möglichkeiten wie Nicht-Behinderte? Zwei ETH-Studenten mit unterschiedlichen Behinderungen erzählen von Ihrem Studienalltag.

von Martin Mächler

Julian Heeb, 22jährig, studiert im 4. Semester Elektrotechnik an der ETH Zürich. Julian leidet an spinaler Muskelatrophie (1) und kann sich nur im Elektrorollstuhl fortbewegen. Während seiner bisherigen Studienzeit an der ETH ist er immer wieder auf kleinere und grössere Hindernisse gestossen. "Es sind die kleinen Probleme, die einem als Rollstuhlfahrer das Studium erschweren", sagt er. "Zum Beispiel sind die meisten Türen aufgrund ihres Gewichtes nur mit fremder Hilfe zu öffnen, zudem verhindern die fix installierten Stühle in den Hörsälen die Zufahrt an einen Schreibplatz ." Er benutzt deshalb eine Schreibmappe, die er sich auf den Schoss legt. Grundsätzlich stellt er den ETH-Gebäuden aber ein gutes Zeugnis betreffend Rollstuhlgängigkeit aus. Relativierend fügt er jedoch an, dass ein Rollstuhlfahrer auch im Alltag gewohnt sei, ab und zu auf unüberwindbare Hindernisse zu stossen. Die Organisation des Tagesablaufes sei deshalb nicht nur für das Studium sehr wichtig.

Wie komme ich wohin?

Die ETH und die Universität Zürich bieten als einzige Hochschulen der Schweiz einen Beratungsdienst für Studierende mit Behinderung an (2). Dessen vielseitige Dienstleistungen werden von rund 20 bis 30 Studierenden pro Jahr in Anspruch genommen. An der ETH unterhält das Rektorat zusätzlich einen entsprechenden Beratungsdienst. Detaillierte Gebäudepläne sind eine der Hilfestellungen, die angeboten werden. "Man muss sehr genau wissen, wie man einen bestimmten Raum erreicht, sonst kann das eine Ewigkeit dauern", sagt auch Julian Heeb aus Erfahrung. Es sei für Rollstuhlfahrer enorm wichtig, sich frühzeitig zu informieren, wo man Zugang habe. Für solche Fragen wendet sich Julian an das Rektorat der ETH. Dort sei man immer sehr hilfsbereit und kompetent. "Gleiche Chancen und Freier Zugang" fordert die Behinderten-Initiative, für Julian ist sie "ein Schritt in die Normalität".

Geklapper im Hörsaal

Auf etwas andere Schwierigkeiten stösst Kay Sauter, 23jährig, Jus-Student im 2. Semester. Vor dem Wechsel zur Jurasprudenz studierte er bereits zwei Semester Informatik an der ETH. Kay ist gehörlos (3). Im Hörsaal sitzt er stets in der ersten Reihe, damit er die Dozierenden mit seinem Cochlea-Implantat möglichst ohne Nebengeräusche verstehen kann. Um dies noch besser zu erreichen, benutzt er eine so genannte FM-Anlage: Der Dozent trägt ein spezielles Mikrofon, dass per Empfänger das Gesprochene an Kays Hörgerät überträgt. Die Übermittlung der Sprachsignale erfolgt hier durch die Modulation der Frequenz eines Funksignals. "Da jeder Dozent dann üblicherweise zwei Mikrofone trägt, klappern diese meist so stark, dass man kaum etwas hört", erklärt Kay. Eine Induktionsanlage in den Hörsälen würde dieses Problem lösen.


Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte"

Am 18. Mai 2003 entscheidet das Schweizer Stimmvolk gemäss dem Initiativkommitee "über die Zukunft aller Menschen mit Behinderungen" (4). Die Bundesverfassung soll wie folgt ergänzt werden:

Neuer Art. 8, Abs. 4: "Das Gesetz sorgt für die Gleichstellung behinderter Menschen. Es sieht Massnahmen zur Beseitigung und zum Ausgleich bestehender Benachteiligungen vor. Der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ist, soweit wirtschaftlich zumutbar, gewährleistet."

Der Bundesrat lehnt die Initiative ab und stellt ihr das neue Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) gegenüber. Die Initianten halten das BehiG aber für ungenügend. Die Änderung der Bundesverfassung sei deshalb eine wichtige Grundlage für ein verbessertes BehiG. Man fordere nichts Unverhältnismässiges, lediglich das Recht auf freien Zutritt zu öffentlich zugänglichen Räumen für alle. Die Gegner monieren, dass eine Annahme der Initiative die Volks- und Privatwirtschaft Milliarden kosten und eine Prozessflut auslösen werde.




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Die Bedienungstasten für den Fahrstuhl bleiben für ETH-Student Julian Heeb unerreichbar. gross

An der Uni sind bereits drei Auditorien mit einer solchen Anlage ausgerüstet, an der ETH sucht man vergeblich danach. Kay kann zwar Lippenlesen, aber das den ganzen Tag zu machen, sei zu anstrengend. Eine andere Lösung wären so genannte "Note-Takers", die an den amerikanischen Universitäten zum Einsatz kommen. Mitarbeiter, die während jeder Vorlesung Notizen für Gehörlose anfertigen. Solange dies in der Schweiz aber nicht gesetzlich verankert sei, bestehe wenig Hoffnung auf eine solche Hilfestellung. Auch die Behinderten-Initiative bringt in dieser Beziehung keine Verbesserung. Kay ist aber überzeugt, dass sie ein Meilenstein für eine weitere Integration der Behinderten in der Schweiz ist.

Kay Sauter präsentiert seine FM-Anlage. gross

Folgen für die ETH?

Sollte die Initiative angenommen werden, so müssten sämtliche der Gebäude der ETH in den nächsten Jahren auch für Gehbehinderte frei zugänglich sein. Im Hauptgebäude ist das mit Ausnahme der zwei Auditorien HG G 3 und 5 und dem Bereich Mensa/Cafeteria Polyterasse bereits heute der Fall. Die Rollstuhlgängigkeit der ETH-Gebäude wurde gemäss Daniel Genucchi vom Bereich Betriebe, zusammen mit einer Rollstuhlfahrerin geprüft und für knapp ausreichend befunden. Weitere Anpassungen wären gemäss Genucchi dringend nötig: zum Beispiel freie Zufahrt durch Haupteingänge und mehr Orientierungshilfen für Sehbehinderte, seien Massnahmen, die auch ohne eine Annahme der Initiative durchaus bedenkenswert wären.


Auch an der ETH ein Thema

Das Thema Behinderten-Initiative ist auch bei den ETH-Architekten ein Thema. Joe Manser, Architekt, Leiter der "Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen" und selbst Rollstuhlfahrer, präsentierte die Anliegen von Behinderten an zeitgemässe Architektur den zweitsemestrigen Architektur-Studenten. Die "neue Generation" von Architekten soll auf behindertengerechtes Bauen sensibilisiert werden. Auch hierfür gelte das Motto: "Form follows function".




Fussnoten:
(1) Weitere Infos: www.fsma.org/german/booklet.htm#Muskelatrophie
(2) Homepage der Beratungsstelle:www.behinderung.ethz.ch/Beratungsdienst/index.shtml
(3) Weitere Infos: www.lkh.ch
(4) Initiative im www: www.egalite-handicap.ch / www.admin.ch/ch/d/pore/va/20030518/explic/d-pp3800-4500.pdf



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