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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.12.2000 06:00

ETH-Gutachten über Szenemagazin
"Kult" provoziert

Es heisst "Kult", ist ebenso schrill wie umstritten. Das Szenemagazin darf inzwischen an der Uni nicht mehr verteilt werden. Und an der ETH? Die Rechtsabteilung hat die Lage abgeklärt und empfiehlt eine Duldung des Magazins.

Von Jakob Lindenmeyer und Richard Brogle

"Es tut mir weh, wenn ich feststellen muss, wie unsere Steuergelder - auch bei dieser Zeitschrift - unsinnig eingesetzt werden", schrieb ein ETH-Mitarbeiter im November in einem Brief an die ETH. "Es scheint mir unerhört, dass ich solche Dinge und Anleitungen von angeblich hochstehenden Studenten mit meinen Steuerfranken unterstützen soll."

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"Kult": Für viele ohne den Balken schlicht ungeniessbar gross

Die Zeitschrift sei ein Aufruf an billigste und niedrigste Instinkte junger Menschen, enervierte sich der ETH-Mitarbeiter. Seine Anfrage ist bei der Rechtsabteilung in Bearbeitung, die Antwort kann allerdings heute schon gegeben werden: das Magazin wird in keiner Weise durch die ETH unterstützt.

Verbot an der Uni

"Kult" erscheint in einer Auflage von 35'000 Exemplaren. Nach eigenen Angaben soll es in der Deutschschweiz 100'000 Lesende haben, davon ein grosser Teil mit akademischem Abschluss. "Kult"-Herausgeber Rainer Kuhn zum Vorwurf, sein Magazin beziehe Steuergelder: "Im Gegenteil. Vielmehr zahlen wir haufenweise Steuern an den Staat, weil unser Magazin so gut läuft." Auch den Vorwurf des Sexismus lässt er nicht unkommentiert: "Wenn sexistisch, dann männerfeindlich, denn in "Kult" geht's dem Mann immer nur ums Kopulieren." Kuhn selber sieht sein Magazin als "sexuell und politisch unkorrekt".

Die Rektoratsdienste der Universität Zürich haben im Februar dieses Jahres die Zeitschrift aufgrund des schlüpfrigen und sexistischen Inhalts auf dem Unigelände verboten. Im einzigen Verbot der letzten zehn Jahre heisst es: "Wir können nicht verhindern, dass Sie auch inskünftig dieses "Magazin" produzieren, wir verbieten Ihnen aber ab sofort, das Magazin in den Räumen der Universität Zürich aufzulegen oder zu verteilen."

Gutachten an der ETH

Zur Situation an der ETH schreibt Marion Völger von der ETH-Rechtsabteilung in einem Gutachten "Zeitschrift "Kult" - Gedanken aus rechtlicher Sicht": "Im Rahmen ihrer Autonomie könnte die ETH grundsätzlich die Auflage einer Zeitschrift auf ihrem Gelände verbieten, wenn sich eine solche Massnahme aufgrund des öffentlichen Interesses aufdrängt."

Dies wäre dann der Fall, wenn Lehre und Forschung gestört oder der gute Ruf der Institution beeinträchtig würden. Die Schlussfolgerung der Rechtsabteilung lautet: "Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass gerade der spezielle Benutzerkreis der ETH imstande ist, selbst darüber zu entscheiden, ob er sich der "kult"igen Konfrontation aussetzen soll oder nicht."

Gute Sitten und Anstand

Einige hundert Exemplare des Szenemagazins werden jeweils Mitte Monat rund ums Hauptgebäude in die Zeitschriftenboxen der ETH gefüllt, sehr zum Ärger des Hausdienstes. Eine offizielle Erlaubnis hat "Kult" bisher nicht eingeholt. Würde die erteilt? Für Hausdienstleiter Jürg Berchtold muss für eine Zulassung der Bezug zur Hochschule ersichtlich sein: "Zudem darf eine Zeitschrift nicht gegen die guten Sitten und den Anstand verstossen."

Ablage
Der Hausdienst beobachtet: Die Zahl der Gratiszeitschriften hat massiv zugenommen. gross

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Leser
Das Szenemagazin hat auch an der ETH seine Anhänger gross

In den letzten zwei Jahren habe die Zahl wilder Plakate und Gratiszeitschriften im Hauptgebäude explosionsartig zugenommen. "Auffällig ist vor allem der Trend, dass vermehrt ETH-Einheiten durch Plakate intern auf sich aufmerksam machen wollen", meint Berchtold.

Nackte Haut statt Politik

Während des Semesters "schmelzen" die Kult-Stapel wie Schnee an der Sonne. "Kult" wird auch an der ETH gelesen, wie eine kurze Umfrage zeigt. Ein nicht genannt sein wollender Doktorand am Departement Informatik lobt das Szenenmagazin: "Kult ist eine erquickende Lektüre, um meine Hirnzellen nach einer anstrengenden Übungsstunde wieder in den Urzustand zurückzuversetzen."

Andere finden das Zoten-Magazin völlig dabeben, wie etwa der Mathematikstudent Peter Rohner, der "Kult" wegen seinen "hirnverbrannten" Texten nicht mehr lesen wird: "Kult spiegelt klar den nihilistischen und indifferenten Zeitgeist unserer heutigen Konsumgesellschaft."

Auch die offizielle Seite der ETH geht auf Distanz. "Ich möchte mich als ETH-Angehöriger nicht mit diesem Produkt identifiziert sehen", sagt Rolf Guggenbühl, der stellvertretende Leiter der Abteilung Corporate Communications. Guggenbühl: "Früher gab es Probleme mit politischem Extremismus, heute mit nackter Haut."


Stichwort Pressefreiheit
Die Pressefreiheit ist in der Schweiz grundsätzlich garantiert. Interessant sind die Ausnahmen. Trotz Pressefreiheit kann die Verbreitung von sehr persönlichen oder verleumderischen Informationen verboten werden.

Die Pressefreiheit ist als demokratisches Grundrecht in Art. 17 der neuen Bundesverfassung garantiert. Die neue Bundesverfassung spricht nicht wie die alte von "Pressefreiheit", sondern neu von "Medienfreiheit". Sie umfasst somit neben der Presse auch ausdrücklich Radio, Fernsehen und "andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung".

Grundrechte können eingeschränkt werden. Dies gilt auch für die Presse- bzw. für die Medienfreiheit. Interessant ist dazu Art. 36 der neuen Bundesverfassung. Eine Einschränkung muss demnach verhältnismässig sein, muss im öffentlichen Interesse liegen und in einem Gesetz vorgesehen sein. Weiter darf die Einschränkung das Grundrecht nicht aushöhlen. Fehlt nur eine dieser Voraussetzungen, verstösst die Einschränkung gegen die Bundesverfassung.

Nicht nur die Bundesverfassung sieht Einschränkungen vor. Auch das Zivilgesetzbuch (Art. 28ZGB) und das Strafgesetzbuch (173ff. StGB ) sehen Einschränkungen vor. Beispielsweise dürfen ganz persönliche Daten nicht ohne weiteres veröffentlicht werden. Auch Verleumdungen dürfen nicht verbreitet werden.

Die Medienfreiheit bindet nur den Staat. Privat-personen und -organisationen ist es daher gestattet, ohne Begründung einzelne Presseerzeugnisse in ihren Räumen zu verbieten. Weigert sich beispielsweise ein Kiosk, ein bestimmtes Heft zu vertreiben, so kann er nicht mit Berufung auf die Medienfreiheit dazu gezwungen werden.




Literaturhinweise:
Die neue Bundesverfassung: www.admin.ch/ch/d/sr/101/index.html
Artikel 17 der neuen Bundesverfassung: www.admin.ch/ch/d/sr/101/a17.html
Artikel 36 der neuen Bundesverfassung: www.admin.ch/ch/d/sr/101/a36.html



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