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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 04.11.2003 06:00

Kontroverse um den Südanflug auf den Flughafen Zürich-Kloten
“Beim Südanflug ist es fünf nach zwölf”

Der Südanflug ist Realität geworden. ETH-Professor Alain Thierstein ist als Raumwissenschaftler der Auffassung, dass bei einer gleichmässigen Verteilung des Fluglärms auf alle Anflugrichtungen die volkswirtschaftlichen Schäden enorm sind. Als Ausweg aus der Sackgasse sieht er nur den Nordanflug mit Zahlungen an die Betroffenen oder deren Umsiedelung.

Von Richard Brogle

ETH-Professor Alain Thierstein vom Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung (IRL) nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um den Südanflug geht: „Es ist fünf nach zwölf.“ Falls für längere Zeit von Süden angeflogen werde, sei mit einem grossen wirtschaftlichen Schaden zu rechnen, da die Entwicklung der Grossregion Zürich behindert würde. Von der „Demokratisierung des Fluglärms“, der gleichmässigen Verteilung des Fluglärms auf alle Anflugrichtungen, hält Thierstein nichts: „Das wäre der grösste Stumpfsinn. Die volkswirtschaftlichen Schäden wären enorm, da grosse Investitionen in die Region ihren Wert verlören.“

Abgeltungen für Fluglärm?

Für Thierstein ist klar, dass der Anflug vom Norden, dem am dünnsten besiedelten Teil, erfolgen muss. Er gibt zu bedenken, dass die Nutzniesser des Flughafens etwa gleichmässig rund um den Flughafen herum zu finden sind, die Nachteile aber einseitig auf die Nordregion konzentriert seien. Diese Ausgangslage muss zu Konflikten führen. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler Thierstein sieht zur Entschärfung nur eine Möglichkeit: Die Benachteiligten, inklusive die süddeutschen Gebiete, müssen mit Geld oder Realersatz entschädigt werden. Für solche Forderungen hat man bei der Swiss erwartungsgemäss wenig Freude. Swiss-Sprecher Dominik Werner: „Dies ist für uns kein Thema.“

Swiss-Sprecher Dominik Werner: „Für die Swiss hätte die Verkürzung der Betriebszeiten verheerende Folgen." (Bild: Swiss) gross

Anflug erst ab sieben?

Ein anderes Thema ist die Frage, ob Anflüge in den Randstunden überhaupt unumgänglich sind. Zur Erinnerung: Nordanflüge über deutsches Gebiet sind bis heute das gängige Anflugverfahren auf den Flughafen Kloten. Nur in Randzeiten und an Feiertagen ist der Nordanflug bei guter Sicht verboten. Als besonders heikel haben sich die Anflüge zwischen sechs und sieben Uhr morgens erwiesen, da die ersten Flugzeuge die Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Schlaf reissen. Es stellt sich die Frage, was geschähe, wenn die Betriebszeiten des Flughafens verkürzt würden. Ganz aus der Luft gegriffen ist die Idee nicht, hat die Flughafenleitung doch selbst vor wenigen Jahren beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) den Antrag gestellt, die abendlichen Betriebszeiten zu verkürzen. Dieses Gesuch wurde allerdings vom BAZL nicht bewilligt. Anflüge erst ab 7:00 Uhr? Bei der Swiss hört man die Frage zum ersten Mal. Pressesprecher Werner: „Das kommt für uns nicht in Frage. Wir müssten das ganze Flugprogramm umstellen, damit die Umsteigepassagiere ihre Flüge erreichen könnten.“ Darüber hinaus kämen viele Flugzeuge von Übersee, die um diese Zeit landen müssten.

„Verheerende Folgen“

Dabei gilt es aber zu bedenken, dass bei der Annahme, dass jeder Flughafen auf der Welt eine Nachtruhe von acht Stunden einhielte, im ungünstigsten Fall der Kombination der beiden Öffnungszeiten und der Flugzeit für jede denkbare Destination immer mindestens ein Zeitfenster von acht Stunden für einen Direktflug zur Verfügung steht (siehe Kasten). Es stellt sich die Frage, ob dies in Anbetracht, dass bereits heute die Flughäfen in der Regel nicht 24 Stunden geöffnet sind, nicht ausreichend wäre. ETH-Professor Thierstein gibt zu bedenken, dass heute viele Business-Passagiere darauf drängten, möglichst früh am Morgen am Zielort zu sein. Für den Swiss-Sprecher Werner wäre die Verkürzung der Betriebszeiten untragbar: „Für uns hätte das verheerende Folgen. Wir wären wirtschaftlich benachteiligt und würden durch eine Flugplanumstellung wertvolle Slots beispielsweise in London verlieren.“ Den finanziellen Schaden einer Betriebszeitenverkürzung kann Werner aber nicht beziffern: „Wir haben das nie untersucht.“


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ETH-Professor Alain Thierstein: „Man wird die Bewohner des Nordanfluges entschädigen müssen, mit Geld oder mit Realersatz.“ gross

Allerheilsmittel gekröpfter Nordanflug?

ETH-Professor Thierstein warnt, die Lösung aller Probleme im so genannten gekröpften Nordanflug zu sehen, der der deutsch-schweizerischen entlang Grenze führen soll: „Wenn man nicht von Anfang an den Kanton Aargau mit einbezieht, dann wird man später dort das genau gleiche Problem wie heute mit den süddeutschen Gemeinden haben.“ Thierstein hat einen ungewöhnlichen Vorschlag auf Lager: „Man wird die Bewohner des Nordanfluges entschädigen müssen, mit Geld oder mit Realersatz.“ Dazu nennt Thierstein das Beispiel von Gemeinden, die wegen eines Staudammsees umgesiedelt wurden. Und Thierstein hat schon ein Gebiet im Auge: „Man könnte den Militärflughafen Dübendorf aufheben und das frei werdende Land Leuten zur Verfügung stellen, die von einem gekröpften Nordanflug betroffen sein werden.“

Kollektives Unterlassen

Warum wurde nicht früher eine Lösung gesucht? „Wir sehen hier ein kollektives Unterlassen“, so Thierstein. Durch das jahrelange Zuwarten hätten sich alle Akteure in eine total verfahrene Situation gebracht, so Thierstein. Einen Teil des Problems sieht er im Föderalismus. Niemand habe die Federführung übernommen und stets auf alle anderen Rücksicht nehmen wollen: „Der Bund will den Kantonen nicht auf die Füsse stehen und der Kanton nicht den einzelnen Gemeinden.“ Dies führe beispielsweise bei der Raumplanung dazu, dass der Bund zwar eine Rahmengesetzgebung erlasse, die Grobgestaltung aber den Kantonen überlasse. Diese wiederum überlasse die Detailgestaltung den Gemeinden. Dieses Vorgehen eignete sich in der Vergangenheit, als die meisten Bauvorhaben nur kleinräumige Auswirkungen zeigten. Bei einem Grossflughafen aber, der nationale – ja bekanntermassen auch internationale - Beeinträchtigungen mit sich bringt, versagt dieses System, da niemand mit einem Blick fürs Ganze die Verantwortung übernimmt. Ein weiteres Problem besteht gemäss Thierstein darin, dass die Schweiz nicht Mitglied der EU ist. Er ist der Überzeugung, dass der Konflikt sonst partnerschaftlicher gelöst worden wäre: „Mit Partnern springt man nicht so um. Als Mitglied hätte die Schweiz die EU-Kommission als Vermittlerin anrufen können.“

Acht Stunden Schlaf

Nimmt man an, dass jeder Flughafen auf der Welt während 16 Stunden täglich geöffnet ist, so ist im besten Fall ein Abflug während eines Zeitfensters von 16 Stunden möglich. Dies wäre dann der Fall, wenn die Betriebszeiten der beiden Flughäfen sich gerade um die Flugzeit unterscheiden. Geht man von den Betriebszeiten des Ankunftsflughafens aus und zieht man die Flugzeit ab, so ergibt sich ein Zeitfenster von 16 Stunden beim Abflugflughafen, innerhalb dessen das Flugzeug starten muss. In einer ungünstigen Konstellation fallen die acht Stunden Nachtruhe in dieses 16-Stunden-Zeitfenster. Aber es bleiben immer mindestens acht Stunden übrig. Diesen Sachverhalt kann man sich grafisch wie folgt vorstellen: man nimmt zwei 8 cm lange Streifen, welche die Betriebsschliessungen symbolisieren, und klebt sie an einer beliebigen Stelle auf einen 24 cm langen Streifen. Wenn man die beiden 8-cm-Streifen übereinander klebt, dann bleiben 16 cm frei: der bestmögliche Fall. Klebt man sie gerade hinter einander – der ungünstigste Fall - dann bleiben nur 8cm frei. Die Flugzeit der Flugzeuge verschiebt lediglich die Lage der Streifen, aber immer beleiben mindestens 8 cm frei.


Literaturhinweise:
FLUGLÄRM & BEWEGUNGEN, Infoseite des Flughafens Zürich-Kloten: www.uniqueairport.com/noise/noise_index.asp
"Der Flughafen Zürich als Produktions- und Innovationssystem" von Alain Thierstein: www.nsl.ethz.ch/IRL/raumordnung/Abstracts_ATH/Flughafen_Zurich-2001_(D)
Schallmessung in der Region Zürich des Deutscher Fluglärmdienst e.V.: www.dfld.de/Mess600.html



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