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Rubrik: Tagesberichte |
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BrainFair 2004: Vortrag von Roger Nitsch zur Alzheimer-Impfung Impfung gegen das Vergessen |
Mit fortschreitendem Alter erkranken immer mehr Menschen an Alzheimer. Eine neue Impfung musste vor zwei Jahren aufgrund massiver Nebenwirkungen gestoppt werden, doch mittlerweile besteht wieder Hoffnung. Roger Nitsch, Direktor der Forschungsabteilung der Psychiatrischen Uniklinik, erläuterte Vorgestern im ETH-Audimax im Rahmen der BrainFair die Hintergründe zu der in seiner Klinik durchgeführten Alzheimer-Impfung. Alzheimer ist die häufigste degenerative Erkrankung des Gehirns. In der Schweiz sind rund 70'000, weltweit sogar acht bis zehn Millionen Menschen davon betroffen. Beunruhigend ist zudem, dass diese Zahlen in den nächsten Jahren weiter ansteigen werden. Grund dafür ist primär die steigende Lebenserwartung durch die bessere Bekämpfung anderer Krankheiten wie etwa Infektionen. Ein hohes Alter gilt immer noch als Haupt-Risikofaktor für Alzheimer. Während nur jeder Zwanzigste der über 65-Jährigen daran erkrankt, ist es bei den über 80-Jährigen bereits jeder Fünfte. „Antikörper gegen das Vergessen“ Unter diesem Titel erläuterte vorgestern Dienstagabend im gut gefüllten Audimax des ETH-Hauptgebäudes der Mediziner Roger Nitsch seinen Kampf gegen Alzheimer mittels einer Impfung. Sein Vortrag ist Teil der Veranstaltungs-Woche „BrainFair 2004“ (1), die sich dieses Jahr speziell auf die Projekte des nationalen Forschungsschwerpunkts „Plastizität und Reparatur des Nervensystems“ konzentriert. (2) Eines der Projekte dieses Forschungsschwerpunkts ist die Impfstudie an der Forschungsabteilung der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, geleitet von Roger Nitsch. (3) Im zugehörigen Ambulatorium untersuchen Christoph Hock und sein Team jährlich 400 bis 500 Personen mit Verdacht auf Alzheimer. Dazu stehen ihnen drei diagnostische Methoden zur Verfügung: Am häufigsten verwendet und seit langem bewährt sind die neuropsychologischen Standardtests, bei denen die kognitiven Funktionen wie Gedächtnis, Sprache und Problemlösen untersucht werden.
Bild vom schrumpfenden Gedächtnis Eine mit der sich schnell entwickelnden Magnetresonanz-Tomographie (MRT) neu aufgekommene Diagnose visualisiert allfällige Schrumpfungen des Gedächtnis-Zentrums im Gehirn, des Hippocampus (siehe Bild oben rechts). Noch im Experimental-Stadium ist zudem der neuropathologische Ansatz, in dem mittels der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) die krankheitsverursachenden Eiweiss-Ablagerungen im Gehirn visualisiert werden können. Doch vorerst kann Alzheimer erst nach dem Tod mittels eines physischen Hirnschnitts mit hundertprozentiger Sicherheit diagnostiziert werden.
Geheilte Alzheimer-Mäuse Vor fünf Jahren entdeckte eine Forschungsgruppe um Dale Schenk von Elan Pharmaceuticals, dass Mäuse, die mit dem aus Alzheimer-Plaques isolierten Eiweiss Beta-Amyloid geimpft wurden, vor Alzheimer geschützt waren. Zusätzlich konnten sie durch Auflösung der krank machenden Eiweissablagerungen auch bereits erkrankte Mäuse wieder heilen. (4) Eine entsprechende Impfung beim Menschen wäre daher nicht nur in der Prävention, sondern auch für die Therapie von Alzheimer-Erkrankten das geeignete Mittel. Aufgrund der viel versprechenden Resultate im Mausmodell beteiligte sich das Ambulatorium von Nitsch und Hock mit 30 Patienten als grösste Gruppe an der von Elan Pharmaceuticals entwickelten weltweiten Impfstudie. Im Rahmen dieser Doppelblind-Studie erhielten in Zürich 24 an leichter Demenz erkrankte Patienten den neuen Impfstoff, während sechs Patienten mit einem wirkungslosen Placebo geimpft wurden.
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Massive Nebenwirkungen Doch rund 40 Tage nach der zweiten Impfung erkrankten 18 der weltweit 298 mit Beta-Amyloid geimpften Patienten an einer Entzündung des Gehirns, darunter auch drei in Zürich. Sofort wurden sie mit entzündungshemmenden Medikamenten behandelt, doch trotzdem behielten sechs Patienten bleibende neurologische Defizite. Die weiteren geplanten Impfungen wurden sofort gestoppt, begleitet von einigem Medienrummel. Die bereits geimpften Patienten wurden seither weiter beobachtet. Hoffnungsvolle Resultate Einige Monate später ergab die Datenanalyse, dass die geimpften Personen innerhalb eines Jahres in verschiedenen Untersuchungen signifikant besser abschnitten. Auch zwei Jahre nach der Impfung bildeten ein Teil der Geimpften noch deutlich mehr Antikörper gegen die krank machenden Eiweissablagerungen im Gehirn. Dass das Ausmass der Antikörper-Bildung mit dem Schutz der geistigen Fähigkeiten korrelierte, zeigten auch die signifikant besseren Resultate von 80 Prozent dieser Patienten in gewissen neuropsychologischen Standardtests. Bei zwei Patienten konnte sogar eine leichte Verbesserung festgestellt werden. (5), (6) Hoffnung für Millionen Auch die Befragung von Angehörigen und Pflegenden über den Zustand der Patienten bestätigten die positive Entwicklung der Patienten, die Antikörper gebildet hatten. Auch wenn die Aussagekraft aufgrund der geringen Teilnehmerzahl noch begrenzt ist, so wecken diese Resultate doch Hoffnung für Millionen von Betroffenen. Nobel-Preis der Demenz-Forschung Dieser Durchbruch war einer der Gründe für die Verleihung des diesjährigen Potamkin-Preises an Roger Nitsch und den Amerikaner Leon Thal durch die American Academy of Neurology. Der Preis ist mit 100'000 US$ dotiert und gilt als Nobel-Preis der Demenz-Forschung.
Klar, dass Nitsch nach dem Vortrag über die hoffnungsvollen Resultate aus dem Publikum gefragt wurde, wann man sich bei ihm nun wieder gegen Alzheimer impfen könne. „Den bisher verwendeten Impfstoff werden wir nicht mehr einsetzen, weil die Nebenwirkungen zu hoch sind“, antwortete Nitsch und versprach: „Doch auf Ende Jahr planen wir eine neue Impfung, möglichst ohne Nebenwirkungen.“ Da sowohl Antikörper-bildende als auch Patienten ohne Immunreaktion an Hirnentzündung erkrankten, schloss Nitsch, dass die Nebenwirkungen nicht direkt durch die Antikörper bewirkt wurden. Sein Ziel besteht nun darin, mit der neuen Impfung möglichst viele heilende Antikörper zu produzieren ohne aber gleichzeitig die bisherigen schädlichen Nebenwirkungen hervorzurufen. Passive statt aktive Immunisierung Die naheliegendste Methode wäre eine passive Immunisierung, bei der den Patienten nicht Antigene, sondern direkt Antikörper injiziert werden. In einem anderen Ansatz wird versucht die Epitope des Impfstoffs so auszuwählen, dass möglichst wenig Nebenwirkungen ausgelöst werden. Sicher werden die Patienten nach einer neuen Impfung dauernd auf Hirnentzündungen überwacht, um sie möglichst frühzeitig mit entzündungshemmenden Medikamenten zu behandeln. Es bleibt zu hoffen, dass die verbesserte Version dieser viel versprechenden Impfung die Alzheimer-Krankheit auch ohne solch massive Nebenwirkungen hemmen oder sogar heilen kann. |
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Literaturhinweise:
Fussnoten:
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