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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 11.04.2005 06:00

Jubiläumsrückblicke der ETH-Technikgeschichte
Das erste Elektronenmikroskop an der ETH

Neue wissenschaftliche Instrumente können alte Disziplinengewissheiten erschüttern. Für die Botanik stellten sich im Fall des Elektronenmikroskops die Verhältnisse buchstäblich auf den Kopf.

Von Andrea Westermann, Technikgeschichte der ETH Zürich

Innovationen im wissenschaftlichen Apparatebau können typischerweise nur in enger Abstimmung zwischen Instrumentenbauern und Nutzern – den Wissenschaftlern – erreicht werden. So hatten die ETH-Institute etwa auf dem Gebiet der Kathodenstrahloszillographen mit Brown Boveri & Cie und der Zürcher Apparatebaufirma Trüb, Täuber & Co AG (TCC) zusammengearbeitet. Auf diese Erfahrung konnte TCC zurückgreifen, als sie sich um das Jahr 1940 an die Entwicklungsarbeiten für ein Elektronenmikroskop machte.

TCC beschritt mit dem Einsatz einer kalten Kathode statt den im deutschen und US-amerikanischen Elektronenmikroskopbau üblichen Glühkathoden, mit den elektrischen statt magnetischen Linsen und einer eigenen Molekularpumpe technisch einen eigenen Weg. Im Einklang mit der politischen Situation hob TCC in einem Artikel in der NZZ vom 28. Februar 1945 diese genuin schweizerischen Anstrengungen positiv hervor. Die „Inlanderfahrungen im Bau von Elektronengeräten aus Metall“ hätten „gewisse wesentliche Verbesserungen und Neuerungen an Übermikroskopen“ erlaubt.

Bestaunte Erwerbung

1946 bestellte die an der ETH eingesetzte „Kommission zur Anschaffung eines Elektronenmikroskops“, in der die Physiker Paul Scherrer und Franz Tank, der Kristallograph Paul Niggli und der Botaniker Albert Frey-Wyssling sassen, ein erstes Elektronenmikroskop bei TCC. Als es zwei Jahre nach der Bestellung endlich eintraf, wurde es zunächst ausführlich besichtigt und auf vielen Vorträgen und in Zeitungsbeilagen besprochen: immer wieder in der NZZ, in der Zeitschrift „Du“, vor der Gesellschaft ehemaliger Polytechniker oder der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. Der Schulrat hatte einen Besichtigungstermin für das, wie Schulratspräsident Arthur Rohn es nannte, „hervorragende Forschungsinstrument schweizerischer Herkunft“ eingeplant, und auch das Kuratorium des „Jubiläumsfonds“, aus dem Teile der über 100’000 Franken stammten, die die Hochschule investieren musste, meldete sich an.

Geschärfter Blick

Neue Forschungsinstrumente beschäftigen selbstverständlich nicht nur die Öffentlichkeit. Sie bringen vor allem in die experimentelle Forschungspraxis und epistemische Ordnung ungeheuren Aufruhr.


ETHistory: Jetzt online

Seit letzter Woche ist "ETHistory 1855-2005" aufgeschaltet, die grosse miltimediale Web-Ausstellung des Instituts für Geschichte zu 150 Jahren ETH Zürich, mit Darstellungen, Analysen, Bildern, Grafiken, Statistiken, Interviews mit ETH-Zeitzeugen sowie vielen weiteren Dokumenten aus der langen und reichen Geschichte der ETH (www.ethistory.ethz.ch/).

Ziel ist es, diese Geschichte zu vergegenwärtigen und zeitgemäss zu präsentieren – die Basis für eine kritische und zukunftsgerichtete Reflexion über die Schule im Jubiläumsjahr 2005. Neben der Website wird eine historische Studie zur ETH in Buchform realisiert. Mehr Infos unter: www.tg.ethz.ch/forschung/




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Mit dem Elektronenmikroskop erhielt die Porenornamentik einen betriebstechnischen Sinn: Aufnahme der Gallertfäden von Kieselalgen. gross

Ernst Gäumann, Professor für spezielle Botanik, hatte diese Dynamiken, von der genannten Kommission um eine Meinung gebeten, schon im April 1946 auf den Punkt gebracht. Für sein Arbeitsgebiet schätze er das Elektronenmikroskop als „sehr wertvoll“ ein. „Möglicherweise wird es mit der Zeit sogar unerlässlich werden. Ich möchte deswegen die Bestrebungen zur Schaffung einer entsprechenden Zentralstelle warm unterstützen.“ Gäumann fügte zwei elektronenmikroskopische Fotos von Diatomeen oder Kieselalgen bei, um den möglichen biologischen Erkenntnisfortschritt exemplarisch zu dokumentieren. Seit 100 Jahren verwende man als Test für das Auflösungsvermögen der Mikroskope die Struktur der Diatomeenschalen. Die elektronenmikroskopischen Untersuchungen hätten nun erstens gezeigt, „dass diese Strukturen noch viel feiner differenziert sind, als man bisher annahm, indem neben den 'grossen’, bis jetzt mikroskopisch sichtbaren Poren noch zahlreiche andere bestehen“.

Neu gestellte Fragen

Diese Porenornamentik besitze zweitens einen „betriebstechnischen“ Sinn, „die Poren sind Austrittsstellen für Gallertfäden, mit welchen sich die Diatomeen auf ihrer Unterlage festhaften und wahrscheinlich auch weiterbewegen“. Gäumann schloss seine Ausführungen mit den Hinweis auf eine offene Zukunft: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass, auf dieser Bahn weiterschreitend, die ganze Gruppe der Diatomeen anders verstanden werden muss."

Nun werden apparategestützte Beobachtungsmethoden gerade weiterentwickelt und verbessert, um mehr zu sehen als vorher. Etwas seltener freilich kommt es zu einem so konsequenten wie eleganten Austausch des Untersuchungsgegenstands. Bei gleichem Versuchsaufbau wechselte das Studienobjekt dadurch, dass sich die Mittel-Zweck-Relation der ursprünglichen Konstellation gewendet hatte: Statt die technische Performanz des neuen Mikroskops mithilfe der hochaufgelösten Kieselalgenstruktur zu testen, stellte das neue Instrument umgekehrt die vertrauten Kieselalgen auf die Probe und öffnete damit längst geklärt geglaubte Forschungsfragen wieder neu.


Literaturhinweise:
Die bisher in "ETH Life" erschienenen Jubiläumsrückblicke der ETH-Technikgeschichte finden Sie unter: www.ethlife.ethz.ch/articles/ethistory/



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