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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 07.12.2001 06:00

ETH World: Rückblick auf das Jahr 2001
Hörsaal als Chatroom

Ziemlich genau ein Jahr nach der Kür der Gewinner des internationalen Projekwettbewerbs orientierten die Macher von ETH World über den Stand der Dinge. Fazit: der dritte ETH-Campus bewegt sich aus der Virtualität spürbar in Richtung Realität.

Von Norbert Staub

"Virtual worlds for real people" - gleich zwei grosse Screens verkündeten am gestern Donnerstag im Südhof des ETH-Hauptgebäudes abgehaltenen Info-Lunch das Credo von ETH World(1). Realismus ist es denn auch, der das erste Jahr der Umsetzung geprägt hat. ETH World sei eine "grosse Baustelle", sagte Corporate-Communications-Leiter Rolf Probala zum Auftakt des Events; geplant ist, dass im Jahr 2005 ein völlig neuartiger Informationsraum für Tausende von ETH-Angehörigen zum ganz normalen Arbeitsumfeld gehören wird. (2)

"Neptun" als Zugpferd

Auf der Baustelle tut sich einiges, da und dort sind bereits Fundamente entstanden, und - um im Bild zu bleiben - auch die eine oder andere Wand wurde aufgezogen. Die Liste von Teilprojekten, die Projektleiter Walter Schaufelberger präsentierte, war eindrücklich. Etliche neue Web-Portale sind entstanden, neue Lehrformen beginnen sich zu etablieren. Die grösste Breitenwirkung ging aber wohl von "Neptun" aus, dem Projekt, das Studierenden in den Departementen Architektur, Maschinenbau und Verfahrenstechnik, Informatik sowie im Studiengang Pharmazie den günstigen Bezug von Laptops ermöglicht (ETH Life berichtete).

Die Akzeptanz bei den Studierenden ist offensichtlich: rund 1‘000 "Neptun"-Maschinen sind laut Schaufelberger in den vergangenen Monaten verkauft worden. Dabei lief längst nicht alles wie vorgesehen: im Herbst führten - eigentlich ja erfreuliche - Preisstürze und schnell wechselnde Produktezyklen bei den Computern zu logistischen Problemen. Als "Hauptlehre" des Versuchs bezeichnete Schaufelberger, dass "Neptun" nicht nur eine technologische, sondern auch eine "soziale Herausforderung" sei. Nach dem Anlass präzisierte Schaufelberger gegenüber ETH Life: "Es darf keine Studierenden geben, die durch die Laptop-Aktion benachteiligt werden – etwa, weil sie sich den Erwerb trotz Preisnachlass nicht leisten können." Im kommenden Jahr soll es laut Schaufelberger deshalb eine neue, verbesserte Auflage von "Neptun" geben.

Ablösung von Papier und Bleistift

Pharmazie-Professor Gerd Folkers, innerhalb der ETH ein Pionier für Fernübertragungs-Vorlesungen, machte deutlich, wie seine Seminarien dank "Neptun" bereits heute eine ganz neue Gestalt bekommen haben. Seine Studierenden in pharmazeutischer Chemie nutzen die Technologie, um im Seminar gruppenweise am Laptop Wirkstoff-Körper-Interaktionen zu studieren. Darüber hinaus sind, so Folkers, jetzt "komplexe" Notizen möglich. Komplex heisst hier: in Farbe, dreidimensional und bewegt. "Da sind Papier und Bleistift nutzlos", meint Folkers. Die dritte "Neptun"-Dividende ist für Folkers die neue Unabhängigkeit von Computerräumen. Auch die Studierenden kamen zu Wort: Ein kurzer Video-Film der Hochschulgruppe "United Visions" illustrierte den Studenten-Alltag mit Neptun-Laptops.


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prof th stricker
Informatik-Professor Thomas Stricker: Fürs "Millionenspiel" sei das Feedback nach Multiple-Choice-Verfahren tauglich, aber nicht für eine Hochschul-Vorlesung. gross

Wie "Neptun" der Kommunikation zwischen Dozent und Studierenden im Hörsaal ganz neue Aspekte hinzufügt, demonstrierte Thomas Stricker, Assistenzprofessor für Informatik, anhand seiner als didaktisches Experiment ausgelegten Vorlesung "System Programming Interactive". Als Ausfluss der autoritätskritischen 68-er Bewegung, so Stricker, habe sich an Hochschulen in den siebziger und achtziger Jahren ein rudimentäres maschinelles Feedbacksystem gegen den Frontalunterricht etabliert: Eine Reihe von Knöpfen habe damals die Studierenden ermuntert, eine Frage des Referenten im Multiple-Choice-Verfahren zu beantworten. "Das brachte überhaupt nichts, diese Systeme wurden bald wieder abmontiert", so Stricker. Mit Laptops und Wireless LAN stehe heute eine Technologie bereit, die eine komplexe und spontane Kommunikation im Hörsaal zulasse - auch zwischen 200 Studierenden und einem Dozenten.

Kein Blatt vorm Mund

Der Erfolg fällt einem allerdings nicht in den Schoss: die Bereitstellung der Infrastruktur ist aufwendig. Eine ganze Personenwoche musste in die technische Basis der Vorlesung investiert werden. Und dass neben dem Professor drei Assistenten nötig waren, um eine Vorlesungs-Doppelstunde zu managen, bezeichnete Stricker als "symptomatisch". Aber das Ergebnis ist faszinierend: im kommunikativen Hin und Her zwischen Studierenden und Referent herrscht quirlige Chatroom-Atmosphäre, in der (dank Pseudonymen) auf beiden Seiten kaum ein Blatt vor den Mund genommen wird. Zu den laut Stricker "sehr guten intellektuellen Leistungen", die geboten werden, gesellt sich so auch mal eine "offizielle Protestmail": Studierende ohne Laptop fühlen sich ausgegrenzt und fordern Gleichbehandlung.

Die Lektion, an deren Ende eine schwierige Code-Optimierung stehen soll, gerät zu einem motivierenden Wetteifern zwischen Studierenden um den schnellsten und elegantesten Weg. Der Dozent braucht für diese Art des Unterrichts jedoch einiges mehr an Kondition als beim Frontalunterricht; Thomas Stricker: "Man weiss nie, was kommt. - Am Schluss einer solchen Vorlesung ist man k.o.!"


Fussnoten:
(1) Der Anlass wird wiederholt: Am Dienstag, 11.12.2001, 12:15 - 13:00 Uhr, Hönggerberg, HPH, Eingangshalle.
(2) Vergleiche hierzu das ETH-Life-Dossier zu ETH World unter: www.ethlife.ethz.ch/dossier/show/0,1046,0-1-677.



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