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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 18.05.2005 06:00

Bildgebende Verfahren aus Sicht eines Kunsthistorikers
Besser als das Auge sehen kann

Bildgebende Verfahren sind in den Life Sciences ein unverzichtbares Mittel der Forschung. Mit der Beziehung zwischen Wissenschaft und Kunst befassen sich auch Forschende an der Professur für Wissenschaftsforschung der ETH. In einem Gespräch fordert Peter Geimer eine präzisere Unterscheidung zwischen der wissenschaftlichen und der ästhetischen Bedeutung der Bilder.

Von Samuel Brandner

Hand aufs Herz, wer findet das Bild einer Blastozyste nicht schön? Aber wer hat je eine Blastozyste mit eigenen Augen und ohne Hilfsmittel gesehen? Oder wer hätte erkannt, dass auf dem Bild ein solches Keimbläschen abgebildet ist? Bilder wie dieses entstehen über komplizierte, technische Verfahren. Als „Bildgebende Verfahren“ stellen sie bereits einen eigenen Wissenschaftsbereich dar und sind besonders den Life Sciences von grossem Nutzen.

Nicht nur Naturwissenschafter befassen sich mit Bildern, die Unsichtbares sichtbar machen. Mit dem wachsenden Trend der Verlagerung der sprachlichen zur visuellen Information, dem "Iconic Turn", ist die Beziehung zwischen Wissenschaft und Kunst zunehmend zu einem Interessenfeld der Geisteswissenschaft geworden. Mit Bildern der Wissenschaft setzt sich auch der Kunsthistoriker Peter Geimer auseinander (1). Er ist Oberassistent am Institut für Wissenschaftsforschung an der ETH. Kürzlich erschien in der Zeitschrift „Science in Context“ ein Aufsatz von ihm, der sich mit der Fotografie des Unsichtbaren im 19. Jahrhundert befasst.

Grenzen für Auge und Sprache

Der britische Physiker Arthur M. Worthington wollte die Stahlpanzerung von Schlachtschiffen verbessern. Um zu verstehen, was genau geschieht, wenn ein Geschoss auf einer Oberfläche aufschlägt, fotografierte er Wassertropfen, die auf einer Wasseroberfläche zerspringen. Die Photographien, die in einem Aufsatz im Jahr 1908 erschienen, stellten etwas vollkommen Neues dar, denn das menschliche Auge konnte nicht sehen, was Worthingtons Kamera zu zeigen verstand. An die Grenzen stiess bei den Versuchen des Physikers nicht nur die menschliche Sehkraft. Auch die Sprache sah sich ausser Stande, die Bilder genau zu beschreiben und musste auf Metaphern zurückgreifen. Worthington beschreibt die Tropfen daher mit Begriffen wie „Krater“, „hohle Muschel“ oder „Körbe“.

Arthur M. Worthington’s Fotografien eines fallenden Wassertropfens. ( 1908) gross

Bilder sind nicht einfach objektiv

Worthingtons Versuch lässt sich als frühe Form der Bildgebenden Verfahren bezeichnen. „Sie geben uns dort ein Bild, wo wir noch keines haben. Anders formuliert: Das Unsichtbare bleibt noch immer unsichtbar, aber man ersetzt es durch ein Artefakt“, hält Peter Geimer fest. Die Herausforderung dieser Bilder sei allerdings, dass man ihnen nicht zu hundert Prozent trauen könne, ihnen aber trauen müsse. Er gibt dazu ein Bespiel: „Astronomen entwickeln nicht erst eine spezifische Bildästhetik, wenn sie ihre Daten zu populärwissenschaftlichen Zwecken als „pretty pictures“ nutzen. Vielmehr unterliegen auch die Bilder, die dem Fachpublikum vorgelegt werden, bereits einer spezifischen Bearbeitung.“


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Blastozyste, auch als Keimbläschen bezeichnet, stellt ein Entwicklungsstadium der Embryogenese dar. gross

Um die Sichtbarkeit zu erhöhen, reinigen Astronomen am Computer die visuellen Rohdaten von optischen Defekten, erzählt Geimer. Allerdings müssten dabei auch Entscheidungen getroffen werden, die darüber bestimmen, welche Teile im Bild als Information zu gelten haben und welche Teile als Artefakte ausgeschieden werden. Es wäre also falsch, betont Geimer, davon auszugehen, dass Bilder dem Objektivitätsanspruch vollkommen gerecht werden könnten. Bilder folgen vielmehr auch dem ästhetischen Urteil und der naturwissenschaftlichen Erwartungshaltung der Forschenden.

Veränderte Konventionen

Die Bilder, mit denen sich Peter Geimer befasst, haben viel mit Bildern moderner bildgebender Verfahren zu tun. Historische wie aktuelle Bilder entziehen sich unserer direkten Wahrnehmung, beide können erst dank einer bestimmten Technik sichtbar gemacht werden. Für den zeitgenössischen Betrachter war die Bilderreihe von Worthingtons Wassertropfen genauso abstrakt, wie uns das Bild der Blastozyste fremd ist. „Verändert haben sich allerdings die Konvetionen“, erklärt Geimer weiter. Bei den Bildern des Physikers kann der Betrachter noch eine Ähnlichkeit zum real erfahrbaren Wasser herstellen. Das Bild der Blastozyste bietet diese Möglichkeit nicht mehr. Geimer fragt sich daher, was bleibt, wenn man von wissenschaftlichen Bildern die Wissenschaft abzieht. Was würde man sehen, wenn das Bild der Blastozyste keine Bildlegende hätte?

Banale Schönheit wissenschaftlicher Bilder

Die eingangs gestellte Frage bleibt. Sind wissenschaftliche Bilder auch kunstvolle Bilder? Geimer kann mit der „banalen Ästhetisierung“ einer Blastozyste ohne Kommentar nichts anfangen. „Wie“, so fragt er, „sähe im Bereich der Kunstgeschichte eine Ausstellung über romanische Kruzifixe, über altägyptischen Grabschmuck oder die Arbeiten von Joseph Beuys aus, deren Kriterium es einfach wäre, dass die gezeigten Objekte schön sind?“ Er glaubt, dass man sofort und ganz zu Recht fordern würde, den Exponaten etwas von jenen historischen Kontexten zu belassen, aus denen sie stammen. Fotografien aus der Wissenschaft verzichten, wenn man sie Nicht-Eingeweihten präsentiert, allerdings häufig auf diese Kontextualisierung und begnügen sich damit, schön und anschaulich zu sein.

Dies führt aber auch zu sonderbaren Entwicklungen auf den Titelblättern naturwissenschaftlicher Fachmagazine selbst, wie Geimer erzählt. So hätte man der Abbildung von Karbon-Atomen auf dem Titelblatt einer renommierten naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift einen Schattenwurf hinzugefügt, obwohl die Welt der Nanophysik unmöglich über einen solchen, aus der Alltagswahrnehmung vertrauten Schatten verfügt. Es konnte dabei nicht mehr darum gehen, einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bildlich zu vermitteln, Vielmehr sollte das Bild einfach vertrauter und ästhetisch ansprechender gemacht werden. Geimer fordert daher: „Wir brauchen eine präzisere Unterscheidung zwischen der wissenschaftlichen und der ästhetischen Funktion der Bilder. Ein Titelbild folgt ganz anderen Gesetzen als ein Bild aus dem Labor.“


Literaturhinweise:
Geimer, Peter. Picturing the Black Box: On Blanks in Nineteenth Century Paintings and Photographs. In: Science in Context 17 (4) S. 467-501.

Fussnoten:
(1) Über Herrn Geimer erfahren sie mehr hier: www.wiss.ethz.ch/pfw/personen_geimer.html



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