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Rubrik: Tagesberichte

Frühjahrstagung der Milak
Eine Frage der Gerechtigkeit?

Published: 13.03.2007 06:00
Modified: 12.03.2007 16:59
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Die diesjährige Frühjahrstagung der Milak thematisierte die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in der Schweiz. Eine mögliche Ausweitung der heutigen Wehrpflicht wurde von den einen Referenten als Stärkung des Gemeinsinns begrüsst, von den anderen als ökonomischer Unsinn verworfen.



Felix Würsten (mailto:felix.wuersten@ethlife.ethz.ch)

Eigentlich, so meinte Karl Haltiner, Professor für Militärsoziologie an der Militärakademie an der ETH Zürich (Milak), müsste die Frage, ob die Wehrpflicht in der Schweiz durch eine allgemeine Dienstpflicht ersetzt werden soll, schon längst vom Tisch sein. Denn der Bundesrat entschied bereits vor mehr als zehn Jahren, von einem solchen Schritt abzusehen. Dennoch wird das Thema immer wieder auf der politischen Bühne kontrovers diskutiert. Wie gross das Interesse nach wie vor ist, bestätigte sich am letzten Samstag, als die Milak (1) ihre jährliche Frühjahrstagung an der ETH durchführte.

Verkommt Wehrpflicht zur Farce?

Aktuell ist die Frage der allgemeinen Dienstpflicht aus verschiedenen Gründen. Viele glauben, in der Gesellschaft eine zunehmende Entsolidarisierung festzustellen. Bemängelt wird beispielsweise, die geltende Wehrpflicht verkomme immer mehr zur Farce, da heute wesentlich weniger junge Männer zum Dienst aufgeboten werden als früher. Schliesslich steht auch ein weiterer personeller Abbau der Armee zur Debatte, wodurch sich die Frage nach der Dienstpflichtgerechtigkeit weiter akzentuiert.

Wie Haltiner in seinem Eingangsreferat erläuterte, gibt es heute in Europa nur noch wenige Staaten, in denen die allgemeine Wehrpflicht unbestritten ist. In vielen Ländern wurden in den letzten Jahren Freiwilligenarmeen eingeführt; in den übrigen wird das Thema zumindest auf der politischen Ebene diskutiert. Auslöser für diese Entwicklung ist, dass seit dem Ende des Kalten Krieges grosse Massenheere nicht mehr als zeitgemäss gelten. In der Folge wurden die Truppen in allen Ländern massiv reduziert.

Zwei gegensätzliche Strömungen

Haltiner stellt in Bezug auf die allgemeine Wehrpflicht in Europa zwei grundsätzliche Strömungen fest. Die eine, eher liberale Richtung, die sich am Denken John Lockes und Thomas Hobbes orientiert, sieht in der Einführung von Freiwilligenarmeen kein grundsätzliches staatspolitisches Problem. Im Gegenteil: Dass der Staat die individuelle Freiheit in einem weiteren Bereich nicht mehr beeinträchtigt, wird positiv gewertet. Diese Sichtweise ist nicht nur in angelsächsischen Ländern verbreitet, sondern auch in den Benelux-Staaten, in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. In all diesen Ländern wurde die allgemeine Wehrpflicht ohne grössere innenpolitische Debatte abgeschafft oder zumindest sistiert. Die andere, republikanisch geprägte Strömung, die sich an der Denkschule Jean-Jacques Rousseaus orientiert, nimmt die Abkehr von der allgemeinen Wehrpflicht nicht so ohne weiteres in Kauf, da die Beteiligung am öffentlichen Leben als Bürgerpflicht verstanden wird. In den skandinavischen Ländern, aber auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz wird deshalb ernsthaft über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht debattiert.

Offene rechtliche Fragen

Aus rechtlicher Sicht wäre die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in der Schweiz zwar möglich, aber nicht ganz unproblematisch, meinte Rainer Schweizer, Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Auf jeden Fall bräuchte es für einen solchen Schritt eine Änderung der Verfassung. Dabei muss der Gesetzgeber berücksichtigen, dass das Völkerrecht gewisse Grenzen setzt. Zwingend zu beachten ist vor allem die Vorschrift, dass niemand zur Zwangsarbeit verpflichtet werden darf. Just dieses Argument war es übrigens, das den Bundesrat 1996 zur Ablehnung der allgemeinen Dienstpflicht bewog.

Nur noch 60 Prozent der jungen Schweizer Männer absolvieren heute die Rekrutenschule. Ob diese Zahl eine zunehmende Aushöhlung der allgemeinen Wehrpflicht widerspiegelt, ist umstritten. Sie könnte auch Ausdruck einer sorgfältigeren Rekrutierung sein, hat doch die Abbrecherquote in den letzten Jahren ebenfalls markant abgenommen. © Zentrum elektronische Medien, ZEM

Alt Nationalrat Peter Weigelt setzte sich an der Tagung dennoch dezidiert für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ein, und zwar nicht nur für Schweizer Männer, sondern auch für Frauen und niedergelassene Ausländer. All jene, welche nicht in die Armee eingezogen werden, müssten also ebenfalls einen Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. Dies muss aber nicht zwingend in jungen Jahren erfolgen, sondern die Bürgerinnen und Bürger könnten ihrer Pflicht auch nach der Pensionierung bis zum 70. Altersjahr nachkommen. Bedarf für Freiwilligenarbeit gebe es genügend, meinte Weigelt, etwa in der Medizin und bei der Pflege von Alten, bei kulturellen Veranstaltungen und grossen Sportveranstaltungen, aber auch bei der Landschaftspflege und der Jugendbetreuung.

Volkswirtschaftlicher Unsinn

Der Freiburger Ökonomieprofessor Reiner Eichenberger zerzauste den Vorschlag Weigelts in einem engagierten Referat. Zwang sei immer ein schlechtes Mittel, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Ein liberaler Staat sollte deshalb wenn immer möglich auf Marktkräfte setzen. Bereits die heutige Wehrpflicht habe aus volkswirtschaftlicher Sicht zahlreiche Nachteile. Diese würden bei einer Ausweitung auf eine allgemeine Dienstpflicht geradezu vervielfältigt. Eichenberger betrachtet es zudem von der Sache her als wenig sinnvoll, ungeschultes Personal für die Pflege von Alten einzusetzen. Seiner Ansicht nach wäre es für den Staat effizienter, die geforderten Dienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt einzukaufen. Auch bei der Verteidigung sollte der Staat auf Marktkräfte setzen. Das Modell der Wahl sei eine freiwillige Milizarmee.

Dem Raunen im Saal nach zu schliessen stiess Eichenberger bei den anwesenden Offizieren auf wenig Verständnis, als er explizit das Rekrutierungsmodell der amerikanischen Armee lobte. SP-Nationalrat Boris Banga erklärte denn auch in der abschliessenden Diskussion, die US-Army würde vorzugsweise wenig intelligente Rambotypen rekrutieren. Da die Schweizer Armee weiter verkleinert werden müsse, sei es aus Gründen der Gerechtigkeit unabdingbar, eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen, meinte Banga, der sich mit seiner Haltung gegen seine Partei stellt. Im Gegensatz zur alt CVP-Nationalrätin Rosmarie Zapfl, die sich für eine Dienstpflicht für Männer und Frauen einsetzte, konnte Banga einem Einbezug der Frauen jedoch wenig abgewinnen.

Footnotes:
(1 Homepage der Milak: www.milak.ch


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