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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 18.12.2003 07:00

Ruzicka-Preis 2003 geht an den ETH-Chemiker Matthias Ernst
Magischer Winkel

Die Methode der Kernresonanz-Spektroskopie ist noch jung – aber erfolgreich. Wohl deshalb wurden in den vergangenen Jahren mehrere Wissenschafter ausgezeichnet, die sich mit den Grundlagen dieser Technik beschäftigten. Vergangene Woche wurde der Medizin-Nobelpreis für das bildgebende Verfahren, die Magnetresonanz-Tomografie, verliehen. Gestern ging der Ruzicka-Preis an den ETH-Chemiker Matthias Ernst für seine Arbeiten über die Spin-Entkopplung bei der Kernresonanz-Spektroskopie von Festkörpern.

Von Michael Breu

Den Grundstein für die Kernresonanz-Spektroskopie legten 1946 der ehemalige ETH-Physiker und spätere Stanford-Professor Felix Bloch sowie der Harvard-Physikprofessor Edward Mills Purcell. Sie beschrieben erstmals die Resonanzabsorption von Atomkernen in statischen Magnetfeldern; für ihre Arbeiten wurden sie 1952 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.

Die magnetischen Eigenschaften von Atomkernen werden in der Physik durch den Kernspin beschrieben. Der Kernspin eines Atoms setzt sich aus den Spins der Elementarteilchen (Protonen: Spin 1/2 und Neutronen: Spin 0) zusammen aus denen das Atom aufgebaut ist. Man kann sich diesen Kernspin bildlich als kleine Magneten vorstellen. Eine genaue Beschreibung der Eigenschaften ist aber nur mit Hilfe der Quantenphysik möglich. Bringt man Atomkerne mit einem Kernspin in ein starkes Magnetfeld so beobachtet man eine bevorzugte Ausrichtung des Kernspins entweder parallel oder antiparallel zu dem Magnetfeld. In der Kernresonanz-Spektroskopie (NMR = nuclear magnetic resonance) beobachtet man den Energieunterschied dieser beiden Zustände der typisch für eine bestimmte Kernsorte ist. Neben der Wechselwirkung der Kernspins mit dem externen Magnetfeld existieren auch Wechselwirkungen der Kernspins untereinander. Zum Beispiel erzeugt jeder Kernspin ein kleines Magnetfeld und beeinflusst so das Magnetfeld, welches einen anderen Kernspin sieht.

Fortschritte - mit dem Nobelpreis gewürdigt

In den letzten fünfzig Jahren hat die Kernresonanz-Spektroskopie enorme Fortschritte erreicht. Mit der Puls-Fourier-Transformation konnte zum Beispiel das Signal-Rausch-Verhältnis entscheidend verbessert werden. Die Grundlagenarbeiten dafür leistete der emeritierte ETH-Chemieprofessor Richard R. Ernst, der dafür 1991 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Ebenfalls wichtige Arbeiten auf dem gleichen Gebiet leisteten der ETH-Biophysiker Kurt Wüthrich (Chemie-Nobelpreis 2002 für seine Forschung über die dreidimensionale Strukturaufklärung von biologischen Makromolekülen) sowie die vergangene Woche mit dem Medizin-Nobelpreis geehrten Paul Lauterbur und Peter Mansfield (für ihre Forschung über die bildgebende Magnetresonanz-Tomografie).

Nun wird ein weiterer, begehrter Preis für die Erforschung des NMR vergeben: Den diesjährigen Ruzicka-Preis erhält


Geschichte des Ruzicka-Preises

(mib) Der Ruzicka-Preis ist neben dem Werner-Preis die bedeutendste Auszeichnung für Chemie in der Schweiz. Erstmals verliehen wurde er 1957 an Georg Büchi, damals Associate Professor am Massachusetts Institute of Technology. Ermöglicht wurde der Preis durch eine grosszügige Schenkung der schweizerischen chemischen Industrie. Ausgezeichnet werden sollen Forscherinnen und Forscher, die noch nicht 40 Jahre alt sind, für eine hervorragende veröffentlichte Arbeit auf dem Gebiet der allgemeinen Chemie. Das Vermögen – dotiert ist der Preis mit 10'000 Franken – soll innert dreissig Jahren aufgebraucht sein, so die Idee der Stiftung. Am 2. Juli 1986 – nach Ablauf der Frist – beschloss das Kuratorium des Fonds, die Vergabe des Preises fortzusetzen. Der diesjährige Preis wird von der Kontaktgruppe für Forschungsfragen der Basler Chemie, der Firmenich SA in Genf, der Chemie Uetikon AG und der Givaudan Roure Aromen AG finanziert.

Namensgeber Leopold Ruzicka (3) wurde am 13. September 1887 in Vukovar (Kroatien) geboren und studierte Chemie an der Technischen Hochschule in Karlsruhe. Dort isolierte er unter anderem mehrere Verbindungen aus Chrysanthemen. 1917 wechselte Ruzicka für kurze Zeit als Privatdozent an die ETH, ab 1921 an die Universität Zürich. Nach einem Praktikum in der Privatwirtschaft nahm er 1926 eine Professur für Organische Chemie an der Universität Utrecht an, 1929 folgte er einem Ruf an die ETH Zürich. 1939 wurde Ruzicka für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Polymethylene und höheren Terpenverbindungen mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Ruzicka emeritierte 1957, 1976 verstarb er.




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Matthias Ernst im NMR-Labor auf dem Hönggerberg: Der Chemiker hat gestern den diesjährigen Ruzicka-Preis erhalten. gross

Matthias Ernst vom ETH-Laboratorium für Physikalische Chemie(1). Der 39-jährige Chemiker wird für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Kernresonanz-Spektroskopie von Festkörpern ausgezeichnet. Insbesondere habe er sich um die Spinentkopplung unter Probenrotation um den „magischen Winkel“ verdient gemacht, würdigt das Preiskomitee.

Beim „magischen Winkel“ (magic-angle sample spinning, MAS) handelt es sich um einen Kunstgriff. Forscher stellten nämlich fest, dass die Auflösung des Festkörper NMR-Spektrums deutlich besser wird, wenn eine Probe im Winkel von 54,7 Grad in das Magnetfeld des Geräts eingebracht und rotiert wird. Bei der Spin-Spin-Entkopplung können gekoppelte Signale – sichtbar als zusätzliche Linien oder breite Banden auf dem Monitor des NMR-Geräts – wesentlich schmaler gemacht werden. Dazu werden zusätzlich hochfrequente Pulssequenzen eingestrahlt. Gekoppelte Signale entstehen durch die Wechselwirkung verschiedener Kernspine. Beispiel Fluormethan, FCH3: Ohne Spin-Spin-Entkopplung würde das Gerät für das Spektrum des Fluoratoms ein Quadruplett registrieren, ein Signal mit vier Peaks. Diese beschreiben die Wechselwirkungen der H-Atome mit dem F-Atom. Mit Entkoppelung hingegen zeigt das Spektrum nur eine einzige Linie. „Die ausgezeichnete Arbeit befasst sich mit der theoretischen Beschreibung dieser Spin-Entkopplung in rotierenden Proben und der Weiterentwicklung der Methode um eine höhere Auflösung zu erhalten“, sagt Matthias Ernst. Die neue Methode erlaube es, bei schneller Probenrotation die eingestrahlte Radiofrequenzleistung um einen Faktor 200 zu reduzieren bei einer nur geringfügigen Reduktion der spektralen Auflösung.

Auch amorphe Verbindungen können untersucht werden

Wichtig ist diese Methode für die Chemie, Physik, Biologie und Materialwissenschaften. Denn mit der Kernresonanz-Spektroskopie von Festkörpern können – im Gegensatz zur Röntgenbeugung – auch amorphe, also nicht-kristalline Verbindungen untersucht werden. Dazu gehören zum Beispiel Amyloide, wie sie bei der Alzheimer-Krankheit abgelagert werden oder Prionen, wie sie im Gehirn von BSE-Infizierten Kühen zu finden sind. Erst kürzlich vom Schweizerischen Nationalfonds vorgestellt wurde die chemische Struktur der Spinnenseide, welche die Gruppe für Festkörper-NMR der ETH entschlüsselte.


Zur Person: Matthias Ernst

(mib) Mit dem Ruzicka-Preis 2003 wird Matthias Christoph Ernst ausgezeichnet (2). Ernst wurde am 2. Februar 1964 in Stuttgart geboren und absolvierte in Freiburg i. Br. die obligatorischen Schulen und das Theodor-Heuss-Gymnasium. Schon früh begeisterte ihn die Chemie. 1982 und 1983 nahm er an der Internationalen Chemieolympiade für Schüler in Stockholm (Schweden) und Timisoara (Rumänien) teil. An der Universität Freiburg i. Br. und an der ETH Zürich studierte er anschliessend Chemie. Im Oktober 1988 schloss er sein Studium (ausgezeichnet mit der Silber-Medaille) mit einer Diplomarbeit über die „heteronukleare Kreuzpolarisation im rotierenden Koordinatensystem“ bei Professor Richard R. Ernst ab – mit dem er übrigens weder verwandt noch verschwägert ist. Zwischen 1989 und 1993 arbeitete Ernst an seiner Doktorarbeit über „Untersuchungen zur Dynamik von Peptiden und Proteinen mit NMR-Relaxationsmethoden“, ebenfalls am ETH-Laboratorium für Physikalische Chemie. Während seinem Postdoc-Aufenthalt forschte Ernst an der University of California in Berkeley (1994-1996), anschliessend als Oberassistent an der University of Nijmegen in den Niederlanden (1996-1998). Zusammen mit Chemie-Professor Beat H. Meier wechselte er 1998 von Nijmegen an die ETH, wo er seither als Oberassistent forscht und seit Oktober 2002 als Privatdozent lehrt. Matthias Ernst ist mit einer amerikanischen Wissenschafterin verheiratet und lebt in Zürich.




Literaturhinweise:
Heteronuclear spin decoupling in solid-state NMR under magic-angle sample spinning. Journal of Magnetic Resonance, 2003, 162: 1-34
Towards Biomolecular Structure Determination by High-Resolution Solid-State NMR: Assignment of Solid Peptides. Chimia, 2001, 55: 844-851

Fussnoten:
(1) Laboratorium für Physikalische Chemie: www.lpc.ethz.ch/
(2) Persönliche Homepage von Matthias Ernst: www.nmr.ethz.ch/~maer/
(3) Leopold Ruzicka: www2.ethz.ch/overview/nobelprize/people/l-ruzicka-de.html und www.ethbib.ethz.ch/aktuell/galerie/ruzicka/



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