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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 16.06.2006 06:00

Kongress zur Snowball Earth-Theorie
Schneeball statt blauer Planet

Vor 700 Millionen Jahren könnte die Erde mit einem vollständigen Eispanzer durchs All geflogen sein. Oder auch nicht. Die Schneeball Erde-Theorie stösst bei ETH-Geologen auf Skepsis - und fasziniert sie dennoch. Die Suche nach Indizien für oder gegen die Theorie ist ein Puzzlespiel.

Peter Rüegg

Überall Eis, eine kalte lebensfeindliche Wüste von den Polen bis zum Äquator. Das Land erstarrte unter Gletschern, die Meere waren zugefroren. Nur Vulkane ragten über den Eispanzer und stiessen Dampf, Rauch und Lava aus. Leben war kaum vorhanden. Doch nach mehreren Millionen Jahren hatten die Vulkane genug Kohlendioxid in die Atmosphäre geschleudert. Das Klima kippte. Innert kurzer Zeit – vielleicht innerhalb von 1’000 bis 100'000 Jahren - schmolz der Eispanzer weg. Das Leben erwachte und entfaltete sich mit voller Kraft.

Science fiction? Keineswegs. Diese Hypothese, „Snowball Earth“-Theorie (1), genannt, ist ein ernst zu nehmendes Forschungsthema, auch an der ETH. Die Theorie sagt, dass die Erde vor 700 und 635 Millionen Jahren als Schneeball durchs All geflogen sein könnte. Geologische Vorgänge entzogen damals der Atmosphäre im grossen Stil Kohlendioxid. Dadurch kühlte sich die Atmoshpäre immer stärker ab, die Gletscher begannen zu wachsen. Das Eis wiederum warf das einfallende Sonnenlicht zurück ins All, was die Atmosphäre weiter abkühlte. Überdies strahlte damals die Sonne bis einige wenige Prozent weniger Energie ab als heute. Dies vereinfachte die Vergletscherung. Irgendwann war die Erde mit einem Eispanzer überzogen.

Viele Indizien sprechen für Schneeball

„Es gibt tatsächlich mehrere Indizien-Linien, auf welchen die Snowball Earth-Theorie basiert“, sagt Postdoc James L. Etienne, der am Geologischen Institut der ETH forscht. Unter anderem fanden Geologen auf allen Kontinenten, die zur damaligen Zeit teilweise noch am Äquator lagen, uralten Gletscherschutt. Darüber liegen scharf abgegrenzt Deckschichten von Kalk. Diese, so Etienne, können nur in warmen oder tropischen Meeren entstanden sein. Das würde heissen, dass die Gletscher den Schutt ablagerten, irgendwann rasant schmolzen, der Meeresspiegel anstieg und weite Gebiete flutete. In den Meeren lagerten sich über dem Gletscherschutt die Sedimente ab, Grundstock für den Kalk. „Zuerst war es offenbar sehr kalt, dann plötzlich sehr warm“, folgert daraus der Brite.

Bei der Untersuchung der Zusammensetzung dieser uralten Deckschichten aus Kalk sind Fachleute zudem auf ungewöhnliche chemische Zusammensetzungen gestossen, die gegen Leben und damit vielleicht für eine weit gehende Vergeltscherung der Erde sprechen. „In Kalken, die nach 545 Millionen Jahren entstanden sind, finden wir zwar eine Fülle von mehrzelligen Lebewesen, die als Fossilien erhalten sind. In älteren Gesteinen hingegen gibt es kaum Spuren von Leben“, sagt ETH-Doktorand Ruben Rieu vom Geologischen Institut. Was wiederum heissen würde, das sich nach dem Abschmelzen der Gletscher verschiedene Lebewesen explosionartig entwickelt haben. Dennoch sind Rieu und Etienne gegenüber der Hypothese einer totalen Vereisung skeptisch.


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Wo Sandrippen entstehen, muss es Wellen geben: Zeugen von offenem Wasser aus einer Zeit, in der die Erde einen kompletten Eispanzer getragen haben soll. (Bild: J. Etienne / Geolog. Institut ETH) gross

„Wenn die Erde ganz mit Eis überzogen gewesen wäre, hätte es keinen Ausweg mehr gegeben“, gibt Rieu zu bedenken. Das habe mit dem Albedo-Effekt zu tun.

Sand zeugt von offenem Wasser

Die ETH-Erdwissenschaftler können sich eher vorstellen, dass die Erde nur fast vollständig vergletschert war. Sie stützen sich in ihrer Annahme auf Gesteine aus dem fraglichen Zeitraum, die versteinerte Sandrippen aufweisen – untrügliches Zeichen für Wellen und offenes Wasser selbst wahrend den Schneeball-Phasen. Zudem fanden sie aufgrund von bestimmten Gesteinsformationen heraus, dass während der Vergletscherung der Erde auch Flüsse existierten haben mussten.

„Das heisst nichts anderes, als dass eben doch nicht alles gefroren war.“ Aus ihrer Arbeit folgern Rieu und Etienne, dass die Eiszeiten in der Frühgeschichte der Erde wohl nicht viel anders waren als die der letzten paar Millionen Jahre: Gletscher wuchsen und schrumpften, gaben Raum frei für Flüsse und offene Ozeane.

Neues Interesse an Schneeball-Theorie

Seit wenigen Jahren interessiert sich die Wissenschaft wieder stark für die Schneeball-Hypothese. Auf allen Kontinenten haben Geologen neue Indizien entdeckt, die dafür oder eben auch dagegen sprechen. Mehr Aufschluss über die Hypothese „Snowball Earth“ erwarten Rieu und Etienne vom ersten weltweiten Kongress (2), der Mitte Juli in Ascona stattfinden wird und den die beiden mitorganisieren. 80 Fachleute aus mehreren Ländern werden dort die Resultate ihrer Spurensuche vorstellen, am letzten Tag sollen diese zu einer Synthese verschmolzen werden. Davon erhoffen sich die ETH-Geologen eine gemeinsame Position, eine Art Zwischenhalt in der Diskussion, ob einst die Erde als ganz oder nur fast ganz vereiste Kugel um die Sonne kreiste.


Fussnoten:
(1) Mehr Informationen über die Schneeball-Hypothese: www.snowballearth.org
(2) Kongressinformationen: www.erdw.ethz.ch/mitarbeiter_web_zu.cfm?Mweb=302&ID_m=1100&language=2



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