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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 05.09.2003 06:00

Naturstoffe
„Die Chemie spielt eine wichtige Rolle“

Die Natur als Apotheke: Immer wieder finden Forscher Stoffe, die gegen Krankheiten eingesetzt werden können. Viel versprechend ist die Gruppe der Spirotryprostatine, chemische Verbindungen, die von Bakterien produziert werden und gegen Krebs helfen könnten: Gleich mehrere Fachmagazine berichteten kürzlich darüber. Die Chemikerin Christiane Marti-Meyers hat an der ETH diese Stoffklasse genauer unter die Lupe genommen.

Interview: Michael Breu

Pilze sind eine gute Quelle für pharmakologisch wirksame Produkte. Am besten bekannt sind uns die beiden Antibiotika Penizillin und Cephalosporin. Der Pilz Aspergillus fumigatus enthält Spirotryprostatin, ein Stoff, der als Medikament gegen Krebs eingesetzt werden könnte. Wie wirkt Spirotryprostatin?

Christiane Marti-Meyers: Spirotryprostatine unterbrechen in geringen, mikromolaren Konzentrationen die Teilung von bestimmten Zellen in vitro. Über die Wirkung der Spirotryprostatine innerhalb der Zelle weiss man jedoch noch wenig; es ist also nicht bekannt, was die exakte Ursache für die Inhibition des Zellzykluses ist. Herausgefunden hat man, dass Spirotryprostatin B um mehr als das Zehnfache wirksamer ist als Spirotryprostatin A. Diese Beobachtung wurde zum Teil darauf zurückgeführt, dass Spirotryprostatin B im Molekül keine Methoxy-Gruppe aufweist.

Erstmals beschrieben wurde die Verbindung 1996 von Hiroyuki Osada vom Institut of Physical and Chemical Research im japanischen Saitama. Im Fachmagazin „Tetrahedron“ meinte er: „Neue Inhibitoren des Zellzykluses sind gute Kandidaten für die Chemotherapie bei Krebs“. Inzwischen sind sieben Jahre verstrichen. Was weiss die Wissenschaft heute über Spirotryprostatin?

Marti-Meyers: In der Zwischenzeit wurden auch biologische Tests mit anderen Zelllinien durchgeführt. Produkte aus den Zwischenstufen einer Spirotryprostatin-A-Syntheseroute wurden zum Beispiel auf ihre Wirksamkeit hin untersucht. Dabei hat man Verbindungen gefunden, die eine höhere Aktivität zeigen als Spirotryprostatin A. Das zeigt: Der Zusammenhang zwischen chemischer Struktur und pharmakologischer Wirkung ist komplex und kann nicht einfach auf die Präsenz oder Absenz einer Methoxygruppe zurückgeführt werden.

Der Pilz Aspergillus fumigatus erzeugt Spirotryprostatin, ein Stoff, der in der Krebstherapie Anwendung finden könnte. gross

Chemisch hergestellt wurde der Stoff zum ersten Mal 1998 von Samuel J. Danishefsky von der Columbia University. Sie haben einen neuen Syntheseweg für Spirotryprostatin vorgeschlagen; kürzlich wurde Ihre Arbeit im Fachmagazin „Angewandte Chemie“ publiziert (1). Was ist an Ihrer Arbeit neu?

Marti-Meyers: Unsere Synthese von Spirotryprostatin B unterscheidet sich in der Konstruktion des (Spiro-Pyrrolidine-Oxindol) Gerüsts und der Einführung einer (Prenyl) Seitenkette grundlegend von den Synthesen der anderen Gruppen.

Für den Aufbau des Spiro-Pyrrolidine-Oxindol Skeletts haben wir eine Methode angewandt, die an der ETH entwickelt und 1999 im Magazin „Angewandte Chemie“ publiziert wurde. Diese Methode ermöglicht die Synthese ausgehend von einfach zugänglichen, preiswerten Ausgangsmaterialien und erlaubt den Aufbau des „Herzstückes“ des Moleküls in wenigen Schritten. Zur Einführung der Seitenkette haben wir eine Olefinierungsreaktion am entsprechenden Aldehyd gewählt. Wir konnten zeigen, dass die Prenylgruppe so in guten Ausbeuten erhalten werden kann, obwohl dieser Weg in einem verwandten System nicht zum Erfolg führte.

Was heisst das konkret?

Die Wahl dieser Reaktion erwies sich als kritischer Faktor auf dem Weg zum Erfolg. Mit dieser Methode ist es nun möglich, auf einfachem Weg eine Vielzahl an Derivaten von Spirotryprostatin B herzustellen, die andere Seitenketten haben. Solche Modifikationen sind nützlich um den Zusammenhang zwischen chemischer Struktur und pharmakologischer Wirkung einer Verbindung aufzuklären.

Spirotryprostatin ist ein Naturstoff. Heute werden viele solcher Naturstoffe mit Hilfe der Biotechnologie hergestellt. Sie haben den Weg über die chemische Synthese gewählt. Welchen Stellenwert hat die Chemie heute in der Naturstoffsynthese?

Marti-Meyers: Die Biotechnologie ermöglicht es, Naturstoffe effizient herzustellen. Ein gutes Beispiel dafür ist Epothilon D, ebenfalls ein Stoff, der als Krebsmedikament wirken könnte (2). Dennoch erfordert die Entwicklung eines funktionierenden Prozesses einiges an Zeit. Zuerst müssen die Gene bestimmt werden, die für die Produktion der Naturstoffe zuständig sind. Diese müssen dann isoliert, vervielfältigt und aufgearbeitet werden. In den meisten Fällen versucht man anschliessend, die isolierten Gene in einen effizienteren Trägerorganismus zu implementieren, etwa in ein Bakterium.

Häufig kann die Toxizität der Naturstoffe zum Zelltod des produzierenden Organismus führen. Es sind aber auch Naturstoffe bekannt, die nur einmal isoliert wurden, ohne


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Die Publikation der ETH-Forscher Christiane Marti und Prof. Erick M. Carreira wird im European Journal of Organic Chemistry mit dem Titelbild gewürdigt.

dass die tatsächliche Herkunft des Moleküls ermittelt werden konnte – zum Beispiel Discodermolide und Leucascandrolide. In diesen Fällen ist die chemische Synthese die einzige Möglichkeit, den Stoff herzustellen. – Häufig kommen in der Naturstoffsynthese jedoch auch beide Wege zusammen, und bei „chemischen“ Synthesen werden auch enzymatische Schritte vorgenommen.

Was sind die Vorteile gegenüber den Methoden der Biotechnologie - etwa der Medikamentenproduktion durch Bakterien?

Marti-Meyers: Naturstoffe müssen aktiv sein, damit sie als Medikament in Frage kommen. Aktivität alleine heisst aber nicht, dass der Stoff als Medikament auch brauchbar ist. Viele Verbindungen zersetzen sich zu rasch, sind zu toxisch oder können vom Körper nicht aufgenommen werden. Hier ist der synthetische Chemiker gefragt. Er muss das aktive Molekül so modifizieren, dass die gewünschten Eigenschaften erreicht werden. Dazu werden Derivate des Wirkstoffs chemisch hergestellt. Biotechnologisch hingegen ist es schwierig, verschiedene Derivate eines Moleküls herzustellen. Allerdings kann biotechnologisch gewonnenes Material als Ausgangsstoff dienen.

Viele handelsübliche Medikamente sind übrigens kleine Moleküle mit vergleichsweise einfacher Struktur. Hier ist die chemische Synthese ein guter Weg zur Herstellung von grossen Mengen.

Die Natur ist ein grosses Reservoir von potentiellen Medikamenten. Wie wichtig ist dabei die Chemie?

Marti-Meyers: Die Natur war für die Menschen während langer Zeit die einzige Quelle für Medikamente. Und auch heute noch orientieren wir uns häufig an den Stoffen, die wir aus der Natur isolieren und gegebenenfalls modifizieren. Aber auch aus den so genannten „Bibliotheken“ – einer Sammlung von unterschiedlichen chemischen Verbindungen – könnten aktive Moleküle durch „high throughput screening“ – einem sehr schnellen Testverfahren – in kurzer Zeit gefunden werden. Und zur Synthese einer ganzen Reihe von Verbindungen mit ähnlichen Strukturmerkmalen verwendet man heute erfolgreich die „kombinatorische Chemie“. Das ist eine Methode, bei der man Bausteine mit einer grossen Anzahl an verschiedenen anderen Bausteinen verbindet und diesen Prozess mehrfach wiederholt. So wird die schnelle Herstellung von einer grossen Menge an neuen Verbindungen ermöglicht. Die Chemie spielt also eine wichtige Rolle.

Viele Forscher hoffen, in der Natur einen Stoff gegen Krebserkrankungen zu finden. Wie schätzen Sie das Potential natürlicher Stoffe ein; werden wir künftig durch die Natur von allen unseren Leiden geheilt?

Marti-Meyers: Ich denke: Auf ein Allheilmittel aus der Natur darf und kann man nicht hoffen. Schliesslich tauchen immer wieder neue Krankheiten auf, oder Erreger bilden Resistenzen. Sicher wäre es schön, gegen die häufigsten Erkrankungen – zum Beispiel Krebs – ein Heilmittel zu haben; daran wird auch intensiv geforscht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass ein Grossteil der Leiden auf unserem Planeten „hausgemacht“ sind: Mangelerkrankungen und Krankheiten als Folge von Unterernährung auf der einen Seite und die „Wohlstandserkrankungen“ als Folge von Überernährung und übermässigem Konsum von Genussmitteln auf der anderen Seite.

Zu erwähnen bleibt auch, dass, selbst wenn wir gegen alle Krankheiten wirksame Medikamente hätten, es noch lange nicht gesichert wäre, dass alle Menschen auch von diesen profitieren könnten.

Christiane Marti-Meyers studierte Chemie an der Universität des Saarlandes und an der ECPM in Strasbourg. Ihre Diplomarbeit über Studien zur Entwicklung neuartiger asymmetrischer Phasentransfer-Katalysatoren verfasste sie im Labor von Professor François Diederich an der ETH Zürich. Anschliessend arbeitete sie in der Gruppe von ETH-Professor Erick M. Carreira an der Synthese von Naturstoffen. Seit Februar 2003 forscht Christiane Marti-Meyers am California Institute of Technology in Pasadena in der Gruppe von Prof. Robert H. Grubbs.


Fussnoten:
(1) „Total Synthesis of (–)-Spirotryprostatin B“, Angewandte Chemie-International Edition, 2002, 42(6), 694-696; „Construction of Spiro(pyrrolidine-3,3’-oxindoles) – Recent Applications to the Synthesis of Oxindole Alkaloids“, European Journal of Organic Chemistry, 2003, 12, 2209-2219
(2) „Bakterium hilft gegen Krebs“, ETH Life vom 11. April 2003: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/epothilon.html



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