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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 03.05.2005 06:00

Im Eventzelt: Andreas Wenger und Erich Gysling
Anschauung und Analyse

Mit dem Journalisten Erich Gysling und Andreas Wenger, ETH-Professor für Sicherheitspolitik, sassen gestern Montag zwei anerkannte Fachleute für internationale Politik und Konfliktfragen auf der Bühne der „Welten des Wissens“ beim Landesmuseum. Eine Diskussion über die Konfliktregion Nahost und darüber, warum der Schweiz nicht gleichgültig sein kann, was dort passiert.

Norbert Staub

„Wie streiten Sie zu Hause?“ – Bei den beiden Fachleuten, die anlässlich des von erneut gut 200 Personen verfolgten „Welten des Wissens“-Mittagstalks von gestern Montag einander gegenüber sassen, machte die Einstiegsfrage der Radio-DRS-Moderatorin Karin Frei durchaus Sinn. Sowohl Andreas Wenger, ETH-Professor für Sicherheitspolitik, wie auch Erich Gysling, bekannter Fernsehjournalist und vor allem Nahostexperte, werden von den Medien als Fachleute häufig auf den Plan gerufen, wenn irgendwo auf der Welt ein Konflikt ausbricht. Gysling verwies darauf, dass er mit seiner Frau, einer Psychoanalytikerin, eine Arbeitsteilung pflege: „Wenn es um das Innere geht, gewinnt sie. Ich hingegen bin zuständig für die äusseren Angelegenheiten“, meinte er etwas scherzhaft. Andreas Wenger wollte sich nicht auf eine Parallelisierung von Beruf und Privatleben einlassen. Sein Rezept, zum Beispiel mit seinen beiden acht- und zehnjährigen Töchtern bei Meinungsverschiedenheiten frühzeitig das ausgleichende Gespräch zu suchen – liesse sich im Grundzug wohl auf die grosse Politik übertragen.

Sprachen: "Jogging fürsHirn"

Dass ihm das Etikett „Nahostexperte“ angeheftet worden sei, beruhe auf Zufall, sagte Erich Gysling. Einem ersten Einsatz im Zuge des Sechstage-Kriegs zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten für die „Tagesschau“ sei, sozusagen aus Bequemlichkeit, ein zweiter gefolgt. 1973 kam es dann zum Oktoberkrieg: Und wieder war Gysling zur Stelle. Infolgedessen vertiefte er sich in die arabische Kultur und lernte insbesondere die Sprache. – „Der nimmt uns ernst“, lautete in der Regel die Reaktion der Einheimischen auf seine Sprachkompetenz. Und noch ein Vorteil: das Eintauchen in andere Kulturen sei „Jogging fürs Hirn“, sagt der vieler Sprachen Mächtige. Dass er sich in seiner Einschätzung von Ländern wir Iran und Syrien kaum je getäuscht habe, schreibt Gysling seinen wiederholten Reisen in diese Staaten zu. Wenn die USA – wie in jüngster Zeit geschehen – beide Länder zur „Achse des Bösen“ rechnen, sei das ein Fehler. Der ehemalige Chefredaktor von SF DRS machte denn auch kein Hehl daraus, dass er mit der Administration Bush nicht viel anfangen kann und Amerika derzeit kaum ein Ziel seiner vielen Reisen sei.

Zeit der Diplomatie

Die eigene Erfahrung und Gespräche vor Ort seien auch für ihn unverzichtbar zur Analyse einer Situation, sagte Andreas Wenger. Gerade deshalb sei es für ihn, der sich immer wieder intensiv mit amerikanischer Politik befasst, keine Option, sich von den USA abzuwenden. Zum Verständnis der amerikanischen Aussenpolitik sei stets der Einbezug des 11. September nötig. Dessen verstörender Einfluss auf die kollektive Psyche der Amerikaner könne gar nicht überschätzt werden. Das verstärkte Bemühen um die Partner in Europa deutet laut Wenger momentan zudem eher darauf hin, dass die Weltmacht jetzt keinen weiteren Militärschlag plane, sondern die Diplomatie präferiere.


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Diskutierten im Eventzelt über Krisenherde und darüber, wie sie anlysiert werden können (v.l.): der Publizist Erich Gysling, Andreas Wenger, ETH-Professor für Sicherheitspolitik und Gastgeberin Karin Frei von Schweizer Radio DRS 1. gross

„Und gerade jetzt, wo es im Irak zum Beispiel um den Neuaufbau geht, braucht es auch starke europäische Stimmen“, gab Wenger zu bedenken. Im Unterschied zum Ersten Golfkrieg trügen die USA bislang alle Kosten selbst, und zwar für den Krieg wie für den Wiederaufbau – der europäische Beitrag sei in den Augen der Regierung Bush nur schon aus innenpolitischen Gründen nötig. Er sehe bei alledem jedoch noch keine ideologische Veränderung, merkte Gysling dazu an.

Know-how und Vermittlungsdienste

Übereinstimmung herrschte bei beiden Experten darin, dass Konflikte wie jene im Nahen und Mittleren Osten uns nicht egal sein können. „Die Energieversorgung der Schweiz etwa hängt zu einem überwiegenden Teil von dieser Region ab“, gab Wenger zu bedenken. Und die am stärksten wachsende Minderheit in der Schweiz sei die muslimische – Tatsachen, die in die Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik, an deren Ausgestaltung das ETH-Forschungsstelle für Sicherpolitik mitarbeitet, einfliessen sollten, wie Wenger meinte. So könnte die Schweiz konkret Mediationsdienste anbieten und beim Aufbau demokratischer Institutionen oder der Ausarbeitung von Verfassungen helfen. Die 2003 unter Schweizer Schirmherrschaft von privaten Fachleuten lancierte Genfer Initiative für einen Nahostfrieden habe bisher zwar kaum Wirkung erzielt, sagte Erich Gysling. „Der Plan gehört heute aber zur Handvoll ernstzunehmender Dokumente, die man nur aus der Schublade nehmen könnte.“ Es sei in Fachkreisen als 'state of the art’ gelobt worden und würde beiden verfeindeten Seiten ermöglichen, ihr Gesicht zu wahren.

Hinterfragte Bilder

Unterschiede zeigten sich dann wieder abschliessend, bei der Einschätzung der Medienqualität. Der bekennende Fernseh-Skeptiker Andreas Wenger konnte zum Beispiel der von US-Sendern betriebenen medialen Inszenierung des Irakkriegs nichts abgewinnen: „Man stand im Wald, sah einzelne Bäume, wurde aber nicht wirklich informiert“, so der Politikwissenschaftler. Erich Gysling warf dagegen die Leistung Ulrich Tilgners in die Waagschale, der für verschiedene Sender aus Bagdad berichtete (auch für das Schweizer Fernsehen). „Das war hervorragende Arbeit – gerade auch, weil Tilgner nicht den Anspruch erhob, mehr zu wissen, als er selbst erfahren hatte.“ Für beide ist und bleibt allerdings das Lesen schriftlicher Quellen das A und O ihrer Informationsbeschaffung.


Literaturhinweise:
Die "Welten des Wissens" sind noch bis kommenden Sonntag. 8. Mai geöffnet. Was Sie dort erwartet, finden Sie ausführlich unter: www.150jahre.ethz.ch/program/ethfueralle/welten_des_wissens



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