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Rubrik: News

Raths-Steiger-Vorlesung mit Iain Chalmers
Kranke medizinische Forschung

Published: 03.07.2006 06:00
Modified: 03.07.2006 16:48
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(cm (mailto:christoph.meier@sl.ethz.ch) ) Zur Wissenschaft gehört die systematische Vorgehensweise. Das bedeutet unter anderem, dass man bei einer neuen Studie abklärt, wie sie sich zum bereits vorhandenen Wissen verhält. Dieser wissenschaftliche Anspruch wird aber häufig nicht eingelöst. Das macht betroffen, weil das Versagen vor allem dort auftritt, wo die Menschen direkt betroffen sind – in der medizinischen Forschung. Iain Chalmers, Mediziner und Herausgeber der James Lind Library (1) , erläuterte diesen Missstand, der tödliche Folgen hat, am letzten Donnerstag an der Raths-Steiger-Vorlesung des Collegium Helveticum (2) .

Denn sie wissen nicht, was publiziert wurde

Ausgangspunkt des Referats war eine Aussage des britischen Physikers Lord Rayleigh. Der Nobelpreisträger war schon um die vorletzte Jahrhundertwende der Ansicht, dass die Forschung am meisten Ansehen verdiene, die nicht nur Fakten präsentiere, sondern sie in Beziehung zu bereits vorhandener setzte. Doch das geschieht zumindest in der Medizin häufig nicht. Bei randomisierten, kontrollierten klinischen Studien, die 1997 in bekannten Zeitschriften publiziert wurden, zeigte sich, dass in 19 von 26 Fällen keine systematische Einordnung vorgenommen wurde. Die Einordnungsleistung wirklich erbracht hatte nur eine.

Diese Nachlässigkeit ist aber tödlich. Hätte man bereits früher die vorhandenen Studien zur Schlafposition von Babys analysiert, wäre der plötzliche Kindstod in 10’000 Fällen allein in Grossbritannien zu vermeiden gewesen. Doch das ist nur ein Fall, bei dem die Forscher es unterliessen, das vorhandene Wissen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Chalmers führte weitere Beispiele an. So wurden mehr als 50 Versuche durchgeführt, bis die schädliche Wirkung eines Medikamentes gegen Herzrhythmusstörungen endlich festgestellt wurde. Oder das mangelnde Aufarbeiten der vorhandenen Evidenz führte zur Verzögerung einer erfolgreichen Therapie zur Auflösung von Blutgerinnseln.

Sie wollen nicht systematisch werden

All diese Fehler geschehen aber in einem grösseren System. Chalmers wies darauf hin, dass auch die Ethikkommissionen unethisch handeln. Denn diese müssten von neuen Studien verlangen, dass sie systematisch das vorhandene Wissen miteinbeziehen, was aber nicht geschieht. Dies, obwohl systematische Reviews tödliche Zusammenhänge aufgedeckt hatten, welche die Einzelstudien nicht sicher feststellen konnten. So weit, so schlecht. Doch die Misere geht noch weiter. Chalmers erzählte, dass es auch bei der Forschung mit tierischen Krankheitsmodellen hapert. So wird hier häufig auf zufällige Verteilung und Blindversuche verzichtet, obwohl bekannt ist, dass diese Unterlassung die Studien beeinflussen kann.

Gibt es aber wenigstens das Bewusstsein für einen Missstand in der klinischen Forschung? Chalmers zitierte namhafte Grössen, deren Aussagen auf das Gegenteil schliessen liessen. Auch die Forschungsstiftung „Wellcome Trust“ erklärt, dass sie systematische Reviews klinischer Studien nicht unterstützt. Als einen Lichtblick konnte der Referent die Fachzeitschrift „Lancet“ anführen. Seit dem Jahre 2005 verlangt diese von Autoren klinischer Versuche, dass sie ihre Arbeit in den Kontext bereits durchgeführter stellen. Grundsätzlich, so Chalmers, sollten sich die medizinischen Forscher fragen, ob sie noch zu Recht erwarten, dass ihnen die Bevölkerung vertraut.

Footnotes:
(1 James Lind Library: www.jameslindlibrary.org/
(2 Collegium Helveticum: www.collegium.ethz.ch/


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